Gerade in den momentanen Zeiten der immer stärker werdenden Nationalisierung in Europa ist es wichtig ein Zeichen gegen diese Bewegung und für den europäischen Zusammenhalt zu setzen. Da ist es besonders erfreulich, dass diese Woche in der Studiobühne Köln bereits zum 30. Mal das internationale Festival „Theaterszene Europa“ stattfindet. Für das jährliche Event ist stets ein bestimmtes europäisches Land zu Gast in Köln – in diesem Jahr geht, wie schon im Gründungsjahr des Festivals, eine polnisch-deutsche Ausgabe über die Bühne.
In bis zu zwei Veranstaltungen pro Abend werden die Räumlichkeiten der Studiobühne Köln von unterschiedlichsten Einzelkünstlern und Ensembles bespielt. Dabei geht es diesmal vor allem sehr politisch zu! Viele Produktionen verhandeln die Thematik eines zunehmenden Nationalismus in Polen, man beschäftigt sich aber auch mit Geschichten des Widerstands. Die deutsch-polnische Produktion „Transit Monumental“ macht sich in einer Videoinstallation auf die Suche nach verschiedenen Formen der Performanz nationaler Identitäten.
Jede einzelne Darbietung bezieht kritisch Position und regt zum Nachdenken an. Bei solch aufreibenden Thematiken besteht oftmals auch nach der Vorstellung noch großer Diskussionsbedarf im Publikum. In anschließenden Künstlergesprächen dürfen Fragen gestellt werden. Nach der Performance „Intro“ von Teatr Dada von Bzdülöw ist das besonders aufschlussreich – denn hier wird erst im Verlauf des Gesprächs deutlich, wie detailreich die Referenzen des Dargebotenen eigentlich sind. Die Akteure erläutern die aktuellen politischen und kulturellen Entwicklungen Polens, denn nicht allen Zuschauern sind diese im Detail bekannt. Für Regisseur Leszek Bzdyl ist es besonders spannend sein Stück in Köln zu präsentieren. Er ist sich nämlich noch nicht sicher, ob es sich überhaupt als Gaststück eignet und möchte das nach dem offiziellen Künstlergespräch im Austausch mit einzelnen Zuschauern klären.
Dazu hat er dann im Laufe des Abends auch Gelegenheit: Vor, zwischen und nach den Vorstellungen kommt man im hauseigenen Garten zusammen, diskutiert über Gesehenes und lässt sich das ein oder andere Kölsch schmecken – eine einzigartige Atmosphäre. Durch die Intimität des Gartens hat jeder Besucher die Möglichkeit nicht nur mit anderen Zuschauern, sondern auch mit den Akteuren und Veranstaltern des Festivals ins Gespräch zu kommen. Schnell wird deutlich: Hier ist jeder an der Meinung und Wahrnehmung des anderen interessiert. „Theaterszene Europa“ ist also nicht ausschließlich ein Festival, sondern eine Plattform zur Diskussion. Die dargebotenen Produktionen sind die perfekte Basis, um diese in Gang zu bringen.
Im Rahmenprogramm bieten einige Künstlergruppen Workshops an, die allen Interessierten offenstehen. Teilnehmerin Erika Walter ist beeindruckt von der Motivation und dem Engagement der Mitglieder des Teatr Trans-Atlantyk, die zum Workshop „Photographic Reenactment“ einladen. Hier lernen die Teilnehmer eine besondere Performance-Technik kennen, die auch Basis der Produktion „Album Karla Höckera“ ist (eine Produktion der Gruppe, die im Rahmen des Festivals gezeigt wird). So bietet sich die einmalige Chance, einen Einblick in die Arbeit der verschiedenen Ensembles zu gewinnen und gemeinsam mit erfahrenen Theatermachern die eigene (Körper)Wahrnehmung neu zu entdecken.
„Theaterszene Europa – ein polnisch-deutsches Festival“ | bis 10.6. | Studiobühne Köln | Webseite
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