Theorien zur „Eigenlogik“ von Städten gibt es einige, wie aber fühlt sich Köln an? Was sagt unser Körper, wenn er in dieser Stadt unterwegs ist? Das Analogtheater um Regisseur Daniel Schüßler hat sich auf die Suche gemacht. Ein Gespräch über die Schildergasse, Konzeptalben und immersives Theater.
choices: Herr Schüßler, der Titel „Shit(t)y Vol.1“ könnte dazu verleiten, Köln gleich vorab als shitty city abzustempeln.
Daniel Schüßler: Köln wird eine gewisse Hässlichkeit nachgesagt. Wir haben uns in unserer Herangehensweise an Rolf Dieter Brinkmann angelehnt, der mit einem romantisch-zynischen Blick auf Stadt und auf Gesellschaft geschaut hat. Das kölsche Glücksseligkeitsversprechen basiert ja auf Europapokal, Dom, Rhein und Karneval und dem wollten wir etwas entgegensetzen. Es geht um Köln, aber auch um den Stadtraum an sich, den Körper im Raum. Und darum ist eigentlich dieses „Shit(t)y Vol. 1. Straße. Laterne. Wohnblock“ so eine knappe Zusammenfassung für das, wo wir erst mal starten. Am Ende aber landet man dann doch dabei, dass man sich in Köln auch wohlfühlt, dass man im Dreck auch Gold finden kann oder so. Und so sind wir beim dem Titel „Shit(t)y Vol. 1“ gelandet, das mit popkulturellen Referenzen wie einem Albumtitel spielt. Wir machen quasi einzelne Pop Nummern, die sich zu einem Konzeptalbum zusammensetzen, das sich mit Köln auseinandersetzt.
Warum Rolf Dieter Brinkmann und warum ist er so wichtig für euer Stück?
Rolf Dieter Brinkmann stammt eigentlich aus Vechta und hat in den 70er Jahren hier als Autor gearbeitet und gilt als einer der Begründer der deutschen Beat-Literatur. Er ist damals mit einem Tonbandgerät durch die Straßen Kölns gelaufen, hat direkte Prosa oder Lyrik ins Mikro gesprochen und damit sein subjektives Empfinden der Außenwelt beschrieben. Brinkmann hat damals schon Cut-in-Techniken benutzt und damit einen stream of consciousness entwickelt, der Staat, Gesellschaft, Politik und sein Empfinden aufeinander bezieht. Dieses durch die Stadt Laufen und Stadt als etwas Vertrautes und doch Fremdes zur eigenen Subjektivität in Beziehung zu setzen – das hat uns interessiert.
Jede Stadt ist ein riesiges Sammelsurium, ein mash-up aus sozialen Praktiken in all seinen Ausprägungen – wie habt ihr euch der Stadt Köln überhaupt genähert?
Wir haben ja schon zwei Biopics über Städte gemacht, nämlich über Göttingen und über Demmin. Dabei haben wir verschiedene Techniken entwickelt, wie man sich einer Stadt nähert. Wir haben unsere Ensemblemitglieder, ähnlich wie Brinkmann, auf eine Tour durch die Stadt geschickt und sie haben ganz subjektiv geschaut, welche Situationen ihnen begegnen und diese dann direkt beschrieben. Daraus haben wir anschließend Texte entwickelt. Für die zweite Annäherung haben wir uns durch den Philosophen Gernot Böhme inspirieren lassen, der über das leibliche Empfinden im Raum geforscht hat. Köln gilt aufgrund der Kriegszerstörungen und den Wiederaufbau als hässliche Stadt. Die Frage ist, was macht das mit uns und unserer Wahrnehmung? Als dritte Annäherung haben wir mit dem Stadtforscher Boris Sievert eine konkrete Straße in Köln in ihren Zusammenhängen und Wirkungen erforscht.
Und wie wird das auf der Bühne aussehen, wie kann man Stadt künstlerisch erfahrbar machen?
Dem Abend liegt das Ziel zugrunde, für die Zuschauenden ein multisensorisches subjektives Erleben im Raum erschaffen zu wollen. Das Publikum ist also mit auf der Bühne und bewegt sich frei im Raum. Es gibt eine Leinwand. Wir arbeiten mit einem Visual Artist und einem Kameramann zusammen, die darauf Sachen projizieren, die wir zum Stadtraum recherchiert haben. Wir haben also einen immersiven Raum, in den die Leute reinkommen und die Stadt weniger kognitiv als über die Gefühlsebene erfahren, also zum Beispiel Geräusche hören wie wummernde Beats oder Feedbacks. Das stellt einerseits eine popkulturelle Referenz her, andererseits ist das eine ganz körperliche Erfahrung für die Zuschauenden.
„Eine ganz körperliche Erfahrung für die Zuschauenden“
Sehen, Hören und Empfinden sind drei zentrale Reaktionsweisen auf Stadt. Wie lassen die sich verkoppeln auf der Bühne?
Wir haben mit unserem Musiker eine Soundstation entwickelt, mit der wir zum Beispiel über den Autotune-Effekt die Stimme mit bestimmten Harmonien oder Halleffekten verbinden können. Der Text, den eine Performerin spricht, bekommt dadurch plötzlich eine Songstruktur. Der Beat wiederum, der da drunter läuft, ist gekoppelt mit den visuellen Bildern auf der Leinwand. Der Text wird dadurch zu einem Sound der Stadt. Ich mache es mal konkret: Wir sind beispielsweise durch die Schildergasse gegangen und haben geguckt, welche Läden da aufgereiht sind. Daraus wurde dann ein rhythmischer Text, wo jemand sagt: H & M, Fielmann, Foot Locker, Burger King oder so. Manchmal geht es eher um ein Gefühl von Stadt, dann wechselt der Abend auf die textliche Ebene und wir beschreiben Situationen, die wir auf der Körner Straße, in Marienburg oder in Kalk erlebt haben. Daraus ergeben sich dann quasi verschiedene Popnummern. Zusammengenommen entsteht so eine Art audiovisuelle Landkarte der Stadt, die dem subjektiven Erleben folgt.
Lässt sich sagen, welche Gefühlsqualitäten die Stadt bietet, die in anderen Städten so nicht möglich sind?
Also diese Selbstüberhöhung, mit der der Kölner und die Kölnerin gerne auf ihre Stadt schauen, ist schon speziell. Ich lebe jetzt auch schon lange hier und würde sagen, Köln ist nicht so hart wie Berlin, nicht so hart wie Frankfurt, nicht so großstädtisch-provinziell und reich wie München. Man kann hier gut leben, obwohl es nicht so eine schöne Stadt ist. Man kommt mit den Leuten schnell ins Gespräch, die Leute haben eine gewisse Freundlichkeit. Wir sind schon hier auch verwurzelt, auch wenn wir anfangs nur auf Zeit nach Köln wollten. Das verändert unseren Blick und wir können uns vielleicht auch von den Erzählungen, die diese Stadt über sich selbst produziert, nicht so ganz freimachen. Wir schauen auf Köln selbstverständlich anders, als wenn wir ein Stück über Wien oder Radevormwald machen würden.
Shit(t)y, Vol.1 – Straße. Laterne. Wohnblock | R: Daniel Schüßler | 8.-11.9. | Studiobühne Köln in der Tanzfaktur | 0221 470 45 13
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Verschwörungen und ASMR
10. (Rh)einfach Fest! in Köln
Posing, Schutz und Voyeurismus
„What is left“ in der TanzFaktur – Auftritt 08/23
Tänzerinnen als „bad feminist“
tanz.tausch in Köln – Tanz in NRW 08/23
Beißende Eifersucht
„Hilarion“ in der Tanzfaktur – Theater am Rhein 07/23
Metaebene der Clowns
„Clowns“ in der Studiobühne – Theater am Rhein 07/23
„Offen für experimentelle Formen und alles Neue“
Dietmar Kobboldt geht als Leiter der Studiobühne in den Ruhestand – Premiere 07/23
Die schwarze Sonne der Melancholie
Jan Jedenaks neue Produktion „Untiefe“ in der Tanzfaktur – Auftritt 06/23
Visionen, Mut und Fleiß
Rund zehn Jahre Kölner Tanzfaktur – Tanz in NRW 06/23
An der Grenze von Ernst und Komik
boy:band und Studiobühne Köln: „Clowns“ – Prolog 06/23
Perforierte Sprachgrenze
Die Studiobühne zeigt „Total“ – Theater am Rhein 05/23
Bedrohliche Fürsorge
„(S)Caring“ an der Studiobühne Köln – Auftritt 05/23
Spätes Licht
Studiobühne zeigt „Nachttarif“ – Theater am Rhein 04/23
„Der Eigentumsbegriff ist toxisch“
Regisseurin Marie Bues bringt am Schauspiel Köln „Eigentum“ zur Uraufführung – Premiere 10/23
„Mir war meine jüdische Identität nie besonders wichtig“
Lara Pietjou und Regisseur Daniel Schüßler über „Mein Vater war König David“ – Premiere 09/23
„Die starke Kraft der Träume anzapfen“
Intendant Heinz Simon Keller über „Die Matrix“ am Theater der Keller – Premiere 08/23
„Grenzen überschreiten und andere Communities ins Theater holen“
Sarah Lorenz und Hanna Koller über das Festival Britney X am Schauspiel Köln – Premiere 06/23
Angst als kreativer Faktor
Das Sommerblut Kulturfestival 2023 beschäftigt sich mit Angst – Premiere 05/23
„Das ist der Vitamin B-Weg“
Dennis Nolden inszeniert „Judith Shakespeare“ am Schauspiel Köln – Premiere 04/23
„Die größte Gefahr liegt in der Vereinzelung“
Deborah Krönung über „Die unendliche Geschichte“ am Theater im Bauturm – Premiere 03/23
„Kein radikaler Bruch, sondern ein Übergang“
Sarah Youssef über ihre Pläne für das Orangerie Theater – Premiere 02/23
„Eine Mordsgaudi für das Publikum“
Festival fünfzehnminuten in der TanzFaktur – Premiere 01/23
„Eine gewaltige Suche nach Anerkennung“
Simon Solberg bringt den Ibsenklassiker „Peer Gynt“ auf die Bühne – Premiere 12/22
„Putin als Person ist für mich völlig uninteressant“
Der ukrainische Regisseur Andriy May über sein Stück „PutinProzess“ – Premiere 11/22
„Mir geht's schlecht, also habe ich recht“
„Der eingebildete Kranke“ am Schauspiel Köln – Premiere 10/22