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Sonja Baum und Martin Schulze (v.l.)
Foto li.: Christian Hartmann, Foto re.: Martin Schulze

„Das Stück wirbelt ganz schön was auf“

30. April 2025

Schauspielerin Sonja Baum und Regisseur Martin Schulze über „Prima Facie“ am Theater im Bauturm – Premiere 05/25

In Suzie Millers Theaterstück von 2019 hinterfragt Strafverteidigerin Tessa Ensler nach einem sexuellen Übergriff die patriarchalisch-geprägte Rechtsprechung.

choices: Frau Baum, Herr Schulze, „Prima Facie“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet sinngemäß „Bei erster Betrachtung“. Es geht also um Wahrnehmungen und Vermutungen. Wie gut sind Sie in der Einschätzung von Menschen?

Sonja Baum (SB): Ich glaube, ganz gut. Ich habe relativ feine Antennen und interessiere mich sehr dafür, wie Menschen sind und warum sie so sind.

Martin Schulze (MS): Als Regisseur habe ich ständig mit Wahrnehmung zu tun. Es gehört zum Beruf, Menschen zu lesen, Verhaltensmuster zu erkennen, Blicke, den Tonfall. Ich würde aber nicht behaupten, dass ich deswegen eine bessere Menschenkenntnis hätte als andere.

Die gleichnamige Vorlage von Dramatikerin Suzie Miller aus dem Jahr 2019 behandelt eine patriarchalisch-geprägte Rechtsprechung zu sexuellen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen. Ist die Gesellschaft trotz jahrzehntelangem Ringen um Emanzipation noch so veraltet?

MS: Suzie Miller hinterfragt patriarchale Perspektiven und Denkstrukturen. Das System rechtfertigt unter anderem, dass der Angeklagte bei einem Vergewaltigungsvorwurf nicht aussagen muss. Das Stück wirft Fragen auf, die darüber informieren, wie Verbrechen aufgearbeitet werden und in welcher Bringschuld die Frauen dabei sind, um zu beweisen, dass die Vergewaltigung stattgefunden hat. Der Appell am Ende des Stückes, das sich „irgendwo, irgendwann, irgendwie, irgendwas“ ändern muss, erinnert daran, wie es um das Rechtssystem steht. Ich denke, es braucht eine Art evolutionären Fortschritt, um eine tradierte „Logik“ sexualisierter Gewalt hinter uns zu lassen.

SB: Es ist ja schon viel passiert, aber es gibt auch noch einiges zu tun, auf sehr vielen Ebenen.

Frau Baum, wie lange mussten Sie überlegen, um diese Rolle anzunehmen?

SB: Gar nicht! Ich habe das Stück gelesen und war sofort wild entschlossen, nach einigen Jahren Theater-Abstinenz wieder auf die Bühne zu stürmen. Ich sage stürmen, weil es zum Stück passt – es wirbelt ganz schön was auf.

Gibt es ein überwiegendes Gefühl, mit dem Sie die Protagonistin Tessa in den Proben spielen?

SB: Es gibt nicht das eine überwiegende Grundgefühl. Das Stück erzählt sehr unterschiedliche Szenen aus dem Leben von Tessa, viele Facetten, Beziehungen und Begegnungen. Natürlich spielt ihr Beruf eine riesige Rolle, wie sie ihn ausübt, zu welcher Lebenshaltung sie über diesen gekommen ist, was er für sie bedeutet. Aber, wie immer im Leben, passieren unvorhergesehene Dinge, die Tessa zum Neu-Denken und Neu-Fühlen zwingen.Ich gehe mit viel Energie, Mut und Willen in die szenischen Proben, um dabei viel über die Haltung der Rolle herauszufinden. Das ist der Prozess. In diesem bewerte ich die Figur nicht von außen. Tessa ist übrigens über weite Strecken kein Opfer, sondern Entscheiderin.

MS: „Prima Facie“ ist kein Agitationsstück. Unser persönliches Gefühl zur Thematik spielt für die Arbeit erst mal keine Rolle. Die entscheidende Emotionalität ist die, die entsteht, wenn wir Tessa Enslers Geschichte erleben. Es ist im allerbesten Sinne ein Theaterwerk. Tessa ist zu Anfang Teil des Problems, auch, weil sie Strafverteidigerin aus Überzeugung ist. Sie wird zum Perspektivwechsel gezwungen. Das ist ein enorm theatraler Vorgang. Daraus entspringt schließlich eine Erkenntnis. Diese herauszuarbeiten ist unser Job. 

Sie übernehmen den Monolog der Autorin auf die Bühne. Welche Vorteile hat das?

MS: Der Monolog legt den Fokus stärker auf die Protagonistin und einzig und allein auf ihre Perspektive der Geschichte. Diese formale Setzung ist hier meiner Meinung nach auch ein politischer Akt. Die Schauspielerin kann und muss die Geschichte der Figur, der anderen Figuren und deren Beziehungen sowie die unterschiedlichen Zeiträume ganz allein erzählen.

Vor einigen Jahren wurden tausende Polizisten zum Besuch der englischen Theateradaption verpflichtet, sogar ein neuer juristischer Leitfaden soll dort erarbeitet worden sein. Könnten Sie sich das auch für Deutschland vorstellen?

MS: Das Stück läuft weltweit erfolgreich mit großer Resonanz. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch hier zu solchen Effekten kommt.

Wäre „Prima Facie“ ein Klang, welcher wäre es?

MS: Schwierig. Ich denke an Glenn Gould, der Beethoven – ich glaube die fünfte und die sechste Symphonie – nur am Flügel interpretiert hat. Das sind Werke, die für ein Orchester komponiert wurden, und das wäre der Klang.

Prima Facie | 2. (P), 4., 10., 11., 18.5., 26., 27.6. (weitere Termine in Planung) | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42

Interview: Thomas Dahl

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