„Sol lucet omnibus“ wiederholt die Krähe immer wieder, während sie tanzend in zuckendem buntem Licht zur Elektromusik den Frühlingsbeginn feiert. „Krähe und Bär“ wurde von Martin Baltscheit verfasst, der soeben beim Preis der deutschen Filmkritik den Preis für den besten Kinderfilm des Jahres 2017 („Nur ein Tag“) erhielt und dessen „Krähe und Bär“ 2016 mit dem Deutschen Kindertheaterpreis gekürt wurde. Das Stück erzählt von der Begegnung und Freundschaft eines Bären und einer Krähe im Zoo. Der Bär sehnt sich nach der Freiheit der Krähe, welche wiederum hungrig die sicheren Mahlzeiten im Käfig beneidet. Mit philosophischem Tiefgang und sprachlicher Leichtigkeit und Witz finden sie in ihrer Freundschaft schließlich zu ihrem persönlichen Glück. Eine Inszenierung von Rüdiger Pape („Wir alle für immer zusammen“) feierte am Samstag im Comedia-Theater Premiere.
Faris Yüzbaşioğlu („Taksi to Istanbul“, „Der Chinese“) spielt eine auf Rollschuhen und im Kopf flinke schwarze Krähe, die, erst einmal gerettet vom dicken Zoo-Bären, bald nicht nur wegen des Futters gerne zu ihm zurückkehrt. Der prollig gekleidete Bär, dargestellt von Alexander Stirnberg („Stadt Land Baum“, „Verbrennungen“), möchte mit Goldkette, Cap mit VIP-Aufschrift und lautem Gebrüll Respekt und Wichtigkeit für sich geltend machen. Einsamkeit und Unfreiheit werden betäubt von drei fetten Mahlzeiten pro Tag. Eva Horstmann, auch verantwortlich für Kostüme, verkörpert den Tierpfleger, der in seinem grauen Overall als unnahbarer Charakter eher einem Gefängniswärter ähnelt. Keine liebevolle Pflege und ehrliche Zuneigung – die Existenz des Bären dient der reinen Belustigung der Zoo-Besucher. Und wenn seine Zeit abgelaufen ist, wird er vielleicht, wie die Giraffe, an die Löwen verfüttert.
Zu Beginn möchte der Bär sein Futter nicht mit der Krähe teilen. „Ja nichts abgeben und dann vor Einsamkeit sterben“, schimpft sie. Doch bald wird ihm deutlich, dass nur gemeinsames Teilen und Freundschaft einen Weg aus der Einsamkeit in die Freiheit bieten.
Horstmann, Stirnberg und Yüzbaşioğlu wissen ihre kleinen und großen Zuschauer mitzureißen und machen sie immer mal wieder selbst zum Teil des Geschehens. Das Licht setzt den Zuschauerraum in Szene und macht das Publikum zum Beobachtungsobjekt der Protagonisten. Die Menschen seien diejenigen, die eingesperrt gehören, schimpft der Bär. Doch was ist die eigene Freiheit schon wert, wenn weiterhin andere hinter Gittern sind? In was für einer Gesellschaft leben wir, dass die eine Hälfte satt, bis hin zur Völlerei, lebt und die andere Hunger leidet? Aktuelle Fragen, die verspielt, aber mit ergreifend realem Bezug transportiert werden.
Die Kinder in den ersten Reihen werden von der Krähe ganz unmittelbar nach Almosen gefragt. Wie verhalten wir uns selbst in der Konfrontation mit Armut, wie reagieren wir auf unmittelbar wahrgenommene Ungleichheit?
Krähe und Bär flüchten sich mit Hilfe eines Zaubertrankes der Klapperschlange in den Körper des jeweils anderen, erkennen allerdings schnell, dass sie ihr ursprüngliches Leben nicht ausreichend wertgeschätzt haben. Schließlich muss die Krähe den Bären retten, der sich, erst einmal in der Freiheit, mit der harten Realität konfrontiert sieht. „Man will immer das, was man nicht haben kann!“, hat eine kleine Zuschauerin für sich mitgenommen.
Das Stück spiegelt mit einer liebevoll erzählten Fabel fundamentale Fragen unserer Gesellschaft auf individueller Ebene wieder. Es regt zum Nachdenken an, wie wir den großen Problemen begegnen wollen, mit Anfeindung und List oder in freundschaftlicher Gemeinschaft. Die Sonne scheint für uns alle, egal wer wir sind oder woher wir kommen.
„Krähe und Bär – Ein Leben in Freiheit“ (ab 8 Jahren) | R: Rüdiger Pape | 21.2., 4.3., 6.3. 16 Uhr, 5.3., 6.3., 25.4., 26.4. 10.30 Uhr | Comedia Theater | 0221 888 77 222
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Die ungesehene Praktikantin
„Opus 132“ am Comedia Theater – Prolog 07/25
Raus ins Leben?
„Draußen“ in der Kölner Stadthalle Mülheim – Theater am Rhein 05/25
Tanz der Generationen
„Kaleidoskop des Lebens“ von Choreografin Suheyla Ferwer – Tanz in NRW 03/25
„Andere Realitäten schaffen“
Dramaturg Tim Mrosek über „Kaputt“ am Comedia Theater – Premiere 12/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
Zeit des Werdens
„Mädchenschrift“ am Comedia – Theater am Rhein 05/24
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Die Sprache der Bewegung
Die Comedia lockt das junge Publikum zum Tanz – Tanz in NRW 10/23
Angst
Beobachtung eines Kritikers im Kindertheater — Bühne 02/23
Missstände offenlegen
„Stigma1“ im Comedia Theater – Prolog 11/22
Hauptrolle für Emotionen
Theater ImPuls realisiert pädagogisches Projekt – Spezial 07/22
Buntgelachte Blumen hören
„Blaubach Kurier“ am Comedia Theater – Theater am Rhein 06/22
Improvisationen der Liebe
„Romeo und Julia. Ich fühl‘s nicht“ am Theater im Bauturm – Auftritt 07/25
„Vielleicht wird die Kindheit outgesourct“
Regisseurin Viola Neumann über „Das Experiment“ am Freien Werkstatt Theater – Premiere 07/25
Unter blauäugigen Hunden
„Traudl Junge – Im Schatten des Bösen“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 06/25
Die Hinrichtung der Wahrheit
„Prima Facie“ am Theater im Bauturm – Auftritt 06/25
Wurzeln inmitten von Ruinen
„Floating Seeds“ vom Theater der Keller – Prolog 06/25
„Erdig, nahbar, ehrlich“
Das Performance-Duo Katze und Krieg über „Alles wirklich“ im öffentlichen Raum – Premiere 06/25
Macheath als Clown
„Die Dreigroschenoper“ am Theater Bonn – Auftritt 05/25
Fragen als Gemeinsamkeit
„Hiob“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 05/25
Wieder Mensch sein dürfen
„Das Tagebuch der Anne Frank“ im Leverkusener Erholungshaus – Theater am Rhein 05/25
„Das Stück wirbelt ganz schön was auf“
Schauspielerin Sonja Baum und Regisseur Martin Schulze über „Prima Facie“ am Theater im Bauturm – Premiere 05/25
Von Un-, Zu- und Glücksfällen
„Dosenfleisch“ am Schauspiel Köln – Prolog 05/25