Nein, sie sind keine dreiköpfige Hydra, auch wenn der Vergleich mit dem Ungeheuer René Michaelsen mit leichtem Spott über die Lippen geht. Vielleicht darf man unter vorgehaltener Hand von einem Triumvirat sprechen, oder einfach von einem gut geölten Team. 2016 haben Laurenz Leky, René Michaelsen und Bernd Schlenkrich die Leitung des Theater im Bauturm aus den Händen von Gerhardt Haag übernommen. 21 Jahre manövrierte er die Bühne auf der Aachenerstraße durch schweres Gewässer. Seit Jahrzehnten ist das Theater eine der Attraktionen in Kölns freier Theaterlandschaft.
1983 hervorgegangen aus bildungsbürgerlichem Engagement, war es im Kontrast zum konservativeren Hintergrund des Theater der Keller die Bühne der Alt-68er. Sogleich verbessert Laurenz Leky mit dem Hinweis, „es handelt sich um Alt-68er, die brennen“. Offenbar haben sie gespürt, dass auch Leky und Michaelsen, die unweit als Schüler gemeinsam das Schiller Gymnasium besuchten, für das Theater brannten. Bernd Schlenkrich – den man bei einem Projekt in Leipzig kennenlernte - wollten beide als Geschäftsführer mit ins Boot holen. Und es funktioniert, der Bauturm setzt ein Erfolgsstück an das nächste. Nach dem „Siebten Kontinent“ – einer Produktion über Plastikmüll – folgten mit „Moby Dick“ und „Don Quijote“ weitere Publikumsmagneten. Man engagierte interessante Regiekräfte mit Sebastian Kreyer, Jan-Christoph Gockel, Susanne Schmelcher und Kieran Joel, dessen „Don Quijote“ den Kölner Theaterpreis gewann.
„Wir sind drei Quereinsteiger“, erklärt Bernd Schlenkrich und verweist auf eine Arbeitsweise, „in der alle finanziellen und künstlerischen Entscheidungen gemeinsam getroffen werden“. Das, was überall gefordert wird, aber nur selten gelingt, im Bauturm ist es Realität geworden: Das junge Publikum kommt. Nicht allein, weil man mit cleveren Videos Instagram füttert, sondern auch weil junge Theaterbesucher untereinander ihr Erstaunen darüber austauschen, dass hier Theater gar nicht langweilig ist. „Es geht darum, im Theater eine unvorhersehbare Situation zu schaffen“, sagt Laurenz Leky. In der aktuellen Produktion „Rosa Luxemburg“ sollen die Ideen der ermordeten Sozialistin „sinnlich erfahrbar im Raum erlebt werden können. Wo beginnt das Handeln?“ Luxemburgs Frage wird unmittelbar im Theaterraum erörtert.
Kein Theater in Köln folgt derzeit so konsequent dem Versuch, den Graben zwischen Bühne und Zuschauerraum aufzuheben. Das „aus der Rolle fallen“ und privat werden, gehört zu einem festen Bestandteil der Arbeit. 45 Jahre nach Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ entdeckt das junge Publikum unserer Tage, wie aufregend Theater sein kann, wenn dieser besondere Dialog zwischen Schauspielern und Besuchern entsteht. „Die Menschen sind oft erstaunt, wie viel Energie im Raum ist, dass es so etwas überhaupt im Theater gibt“, erklärt Laurenz Leky, der selbst in vielen Produktionen spielt und das Theater leitet.
Mit René Michaelsen besitzt man einen Dramaturgen, der den Produktionen mit seinem musik- und literaturwissenschaftlichen Hintergrund Substanz verleiht. Eine klassische Textvorlage wird es mit der zweiten Produktion des Frühjahrs geben, dann steht „Der Revisor“ von Nikolai Gogol auf dem Programm. Derzeit arbeitet das Team aber auch schon an „Biotopia“, einem Projekt, das den Ideen von Donna Haraway folgt und danach fragt, wie in der Zukunft eine Kollaboration zwischen Menschen und anderen Spezies aussehen könnte. Wie gehen Kölner mit ihren und mit fremden Tieren um? Eine Versuchsanordnung des Theaters, die eine Struktur entwickeln wird, mit der dann auch Theater in anderen Städten arbeiten könnten. Denn bei aller Verwurzelung in der Domstadt hat man es bei den drei Theatermachern doch mit Menschen zu tun, die stets neugierig über die Zäune der Region hinaus schauen.
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