Es muss gelebt werden – erst recht nach dem eigenen Tod. Das Abfinden mit physikalischen Naturgesetzen war noch nie des Menschen Sache. Also weiter mit der Show. Die Tragik verdunkelt in Kathrin Mayrs Bauturm-Inszenierung „Von Käfern und Menschen“ nicht die Komödie des Stoffes aus der Feder von Clemens Mädge. Sie spannt sich im Grab wie ein frisch bezogenes Bett mit Wimmel-Leichentüchern über die höchst aktiven Körper der Protagonist:innen: Der stoische Ostgote Otto (Henning Nierstenhöfer) ist auf der Flucht vor den Hunnen verstorben, der hitzige, preußische Gardist Friedrich Wilhelm (Mario Neumann) ist im Gefecht gegen Napoleons Truppen gefallen und die empathische Musiklehrerin Barbara (Fiona Metscher) ist gerade bei einem Fahrradunfall ums Leben gekommen und traut dem Ende ihres Daseins nicht.
Auf einer halben Stadionrunde im Sprint mit dem untergehakten, protestierenden Arthur Schopenhauer gerät die Welt des Trios zwischen oberen und unteren Erdschichten zur reinen Vorstellung. Genährt durch Käfer, Würmer und Fliegen, die sich zuvor an den Hirnen der Menschen labten, überbieten sich die teils flechtenumrangten Darsteller an Wissen mittels zugeführter Erinnerungen, die sie lediglich mit den Toten teilen können. Gefüttert mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über Sein oder Schein und der Magie von Erinnerungen wird sich auch das Publikum dem rund 90-minütigen Exkurs zur Vergänglichkeit kaum entziehen können. „Will er/sie/es kriechen oder fliegen, im Äther verschwinden oder auf dem Humus verweilen?“ – Das ist hier die Frage!
Von Käfern und Menschen | 28., 29.12., 13., 14.01. | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42
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