„Wie sehr ich warte. Komm nicht zu spät“, senden sich zwei Ensembledarsteller bereits im Foyer der Spielstätte Sehnsuchtsbekundungen zwischen Bühnenein- und -ausgang zu. Die Nachricht ist Programm für die neue Produktion des Kollektivs, „Vom Sagen und Schreiben“. Sehnen und Suchen, Finden und Verlieren, Zusammen- und Alleinsein, aber vor allem Hoffen und Weiterhoffen prägen über rund 80 Minuten ein empathisches Werk, das poetische Nostalgie nicht mit Sentimentalität gleichsetzt.
Unter der Regie von Ingrid Berzau agieren die 67- bis 91-jährigen Akteure am Freien Werkstatt Theater als authentische Geschichtenerzähler, die trotz ihrer zusammengenommenen Lebenserfahrungen im vierstelleigen Bereich erfrischend unprätentiös aufwarten. In einer komplexen multimedialen Inszenierung verflechten sich kontemplative Monologe, Tanz, Livemusik, Briefumschlagbastel-Workshop sowie Schauspiel zu einem Fluss der Erinnerungen und Ausblicke. Steter Ausgangspunkt für Reisen in die Vergangenheit und die Zukunft sind die kommunikativen Ausdrucksmittel der Epochen. Ob in Stein gehämmert, in Ton geritzt, ästhetisch zu Papier gebracht, via Fernsprecher verliebt in bewegenden Bekenntnissen gehaucht oder bereits vorgefertigt auf den Monitor des Laptops respektive des Smartphones als Kurznachricht, vielleicht gar nur als bildhaftes Emoji hinterlassen – das Wechselspiel zwischen Sender und Empfänger bleibt über die Jahrtausende bestehen. Ob in Postkarten, Briefen oder Tagebüchern, der Drang zur Mitteilung begleitet die Zivilisationen seit jeher. Sie zeugen von Egoismus und Maßlosigkeit ebenso wie von Weisheit, Bescheidenheit und Selbstlosigkeit. Die Balance zwischen romantischer Zeitreise an das einstige Schreibpult der Jugend, des digitalen Jetzt und der oftmals in dunklen Lettern geschriebenen Zukunft bewahrt das Ensemble mit Humor und dem Glauben an das grundsätzlich im Menschen verankerte Potenzial im Sinne eines humanen Fortschritts, der allen Individuen Teilhabe bietet. Voraussetzung dafür ist die Einhaltung einer globalen zeitlichen Marke. Entscheiden wir uns zu spät für das Leben, naht ein frühes Ende.
Parallel zu den Aufführungen zeigt das Haus eine Ausstellung, die den Entstehungsprozess des Stückes über die letzten zwei Jahre in sehenswerten Illustrationen von Frieder Beckmann demonstriert.
Vom Sagen und Schreiben | R.: Ingrid Berzau | 8., 9., 10.9., 7., 8., 9.10. | Freies Werkstatt Theater | www.fwt-koeln.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Zusammensetzung der Realität
Andrea Bleikamp inszeniert „Trans-S“ am FWT – Prolog 05/22
Olives Vagina
„Liebe. Eine argumentative Übung“ am FWT – Prolog 04/22
Lust am Untergang
„Anthropos, Tyrann (Ödipus)“ am FWT – Theater am Rhein 03/22
Antworten statt Fragen
„Ich bin“ im Freien Werkstatt Theater
Trudeln im Raum
FWT zeigt „Chöre des Spekulativen“ – Theater am Rhein 01/22
„Schluss mit dem menschenzentrierten Theater!“
Regisseur Frederik Werth inszeniert „Anthropos, Tyrann (Ödipus)“ – Premiere 01/22
Kartographierung eines Nicht-Ortes
„Die Lage“ am Freien Werkstatt Theater – Bühne 11/21
Freiluftfestival auf der Schäl Sick
NN Theater Köln weicht nach Köln-Poll aus – Festival 06/22
Dem Wahn verfallen
„Lenz“ am Studio Trafique – Theater am Rhein 06/22
Buntgelachte Blumen hören
„Blaubach Kurier“ am Comedia Theater – Theater am Rhein 06/22
Was in die Stadt passt
Hein Mulders erste Spielzeit an der Oper Köln – Bühne 06/22
Jung, wild, queer
Bohei- und Bonanza-Festival am Comedia Theater – Bühne 06/22
Subversive Mörderin
„Richard drei“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 06/22
Delegierter Kampf
„Zeit für Entscheidung“ am Orangerie Theater – Theater am Rhein 06/22
Radikale Illusion
„Amphitryon“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 06/22
„Humor funktioniert als Machtmittel“
Sophie und Thalia Killer über die Erhöhung des männlichen Late Night Hosts – Premiere 06/22
Den Ekel wegsaufen
„Onkel Wanja“ am Schauspielhaus Bonn – Auftritt 06/22
Ungewisse Zukunft
„Der Weg zurück“ am Schauspiel Köln – Prolog 06/22
Warten, bis das Ende lächelt
„to those who wait“ am Orangerie Theater – Bühne 06/22
Territorium des Traumas
„Vom Krieg“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 05/22
Vertreibung der Dämonen
„Vagabunden“ am Orangerie Theater – Prolog 05/22
Feierlaune im Lockdown
„Partygate“ im Kulturbunker Mülheim – Prolog 05/22
Ballett des Zorns
„Wut im Bauch“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 05/22
Zwischen Komik und Tragik
Anna Gmeyners Komödie „Automatenbüfett“ am Volksbühne am Rudolfplatz – Auftritt 05/22
Kein Entkommen
„Mölln 92/22“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 05/22