Mit überspitzten Erwartungen an männliche Dominanz und erotische Weiblichkeit rechnet die Autorin Nora Abdel-Maksoud in „The Making of“ mit einer ganzen Branche ab. Ihre bissige Satire mit hohem Unterhaltungswert enttarnt das Versprechen von exklusiven Einblicken hinter die Kulissen als eine große Lüge über Authentizität und Identität. Nach der Premiere im Oktober 2020 musste das Stück gezwungenermaßen in die Lockdown-Pause, nun kam es zum Ende der Spielzeit schonmal kurz zurück auf die Bühne in der Südstadt.
Epische Musik, Farben wie ein Feuerwerk und jede Menge Action eröffnen den Abend. Es läuft ein kurzer Werbetrailer zum „Making of“ des geplanten Superhelden-Remake. Die Beteiligten sprechen in Superlativen: der beste Produzent, die teuersten Spezialeffekte, der spannendste Plot.
Darsteller und ihre Rollen
Die Rollenverteilung klingt gar nicht so unbekannt: Sie ist das schöne, glattrasierte Mädchen. Er ist der muskulöse und furchtlose „Fledermausmann“, der sie aus den Fängen des Bösen – hier ein pelziger, triebgesteuerter Schakal – befreit. Die fiktive Regisseurin Gordon will sich mit dem Film entgegen jeder Statistik als Frau in der Branche einen Namen machen.
Doch ihre Darsteller können sich – sowohl vor als auch hinter der Kamera – nicht mit den Figuren identifizieren. Während die weibliche Protagonistin in feministischen Interventionen erfolglos die Selbstbestimmung über ihren Körper einfordert, durchlebt der männliche Held Selbstzweifel und Identitätskrisen, die niemand ernst nimmt. Schließlich zerbricht auch die robuste Gordon an ihrer Rolle als autoritäre Chefin am Set. Verpackt in eine charmante und amüsante Komödie ist das Stück eine herrlich spitze Kritik an stereotypischen Geschlechterrollen, an der Sexualisierung des weiblichen Körpers, an der absurden Überrepräsentation von Männern im Filmgeschäft und an der Macht des Geldes.
Das Bühnenbild funktioniert mit schlichtem Minimalismus: Gordons Regie-Stuhl und bewegliche Stellwände formen die Kulisse. Auffallend sind die leuchtenden, giftgrünen Farbelemente: die Headsets der Schauspieler, die Kopfhörer der Regisseurin oder die Lehne ihres Stuhls – aber auch der hautenge Ganzkörper-Bodysuit des Schakals ist in dem schrillen Grün gefärbt. Die Farbe markiert wie ein Textmarker offensichtlich das Gefährliche – sei es das vermeintliche Raubtier oder die Symbolträger einer verlogenen Filmbranche.
Keine Emotion ohne Nahaufnahme
Für die Inszenierung greift Sophie Killer mit geschickter Hand in die Film-Trickkiste. Mit einer kleinen Handkamera begleiten sich die Schauspieler auch abseits der Bühne. Das Bild wird live auf eine im Bühnenbild integrierte Leinwand übertragen – der Blick hinter die Kulissen wird hier wortwörtlich genommen. Auch die Vergrößerung von Emotionen als Stilmittel aus dem Film wird durch riesige Nahaufnahmen belustigend nachgeahmt.
Nicht zuletzt die energiegeladene Besetzung trägt mit präziser Situationskomik und großartiger Ironie über anderthalb Stunden. Mirka Ritter in der Rolle der taffen Regisseurin unterhält mit bitterem Sarkasmus und berührt über packende Gefühlsausbrüche. Das Schauspieler-Trio aus Fee Zweipfennig (das „Mädchen“), Thomas Kaschel (der „Fledermausmann“) und Tomasso Tessitori (der „Schakal“) überzeugt mit einer perfekt portionierten Mischung aus Witz und Ernsthaftigkeit.
The Making of | R: Sophie Killer | 25., 30.9. 20 Uhr, 26.9. 18 Uhr | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
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