Bekanntlich gilt Patricia Highsmiths Romanfigur Tom Ripley als zwielichtiger, doch mitnichten uncharmanter Verwandlungskünstler. Entsprechend eilig tauscht Ripley daher auch in Thomas Hupfers Inszenierung, die am Mittwoch Premiere feierte, seine schiefsitzende Fliege, die brave Frisur und Cordhose gegen eine funkelnde Sonnenbrille, ein offenes Flanellhemd und gestriegelte Haare. Ein Requisit Ripleys, gespielt von Felix Strüven, verweilt jedoch trotz 140-minütiger Spieldauer und gleich mehrfachem Szenenwechsel zwischen Rom und Mongibello als zeitloser Weggefährte: sein mannshoher Überseekoffer. Der in dessen Deckel befindliche Spiegel, mit dem Ripley leitmotivisch Monologe führt, offenbart Strüvens Können, das Janusköpfige des Protagonisten spielerisch einzufangen. Er wird zum Vexierbild eines Kriminellen, von dem stets fraglich bleibt, ob das Diabolische ihn oder er das Diabolische lenkt. Die Stevensonsche Schattierung, die Strüven in seiner Rolle findet, weiß er gelegentlich aufdringlich, aber eben auch sehr unterhaltsam und spannungsvoll zu betonen. Hervorzuheben ist hierbei auch die Funktion des Licht- und Tonspiels von Christoph Wedi, das den Zuschauer immer wieder in die düstere, rastlose Seele führt, in einer Installation mit Schwarzlicht sogar in fiebertraumartige Alb des Protagonisten.
Neben dem gelungenen, finsteren Psychogramm des talentierten Ripley – in dem einige eine Symbolfigur des französischen Existentialismus erkennen wollen – arrangiert Hupfer auch das müßige, von der süditalienischen Sonne geküsste Leben des Liebespaares Marge Sherwood und Dickie Greenleaf. So werden Bühnenvorhänge mal zu einer Hängematte, mal zum Bug eines Schnellbootes geknotet; mal wird der doch eher wenig mediterrane Keller des Freien Werkstatt Theaters zum lichtgefluteten Atelier des bescheidenen Künstlers Dickie, mal zu einem schillernden Etablissement in Neapel. Analog hierzu lässt das Kostüm Marge, gespielt von Mona Mucke, wahlweise in einem beigen Trenchcoat kokettieren, in einem paillettenbesetzten, scharlachroten Abendkleid singen oder in Anzughosen die argwöhnische Furie spielen. Marge, der schriftstellernden, in der Bühnenfassung von Bastian Kraft unlängst Verlobten Dickies („Das Problem mit Dickie ist: Zuerst ist es so, als würde die Sonne auf einen scheinen und alles ist herrlich. Und dann, dann vergisst er einen und es wird sehr, sehr kalt“), wird zudem eine separate, dramaturgische Funktion zuteil. Ihr Vermögen, das Doppelspiel des unliebsamen Gastes Ripley („Ich kann Kinder hüten, Unterschriften fälschen und fast jeden imitieren“) frühzeitig zu erkennen, setzt sie in ein ambivalentes, für flüchtige, sehr gut gespielte Momente beinah vertrautes Verhältnis zu dem Mörder ihres Gatten. Diese Nuance greift Hupfer gekonnt auf, indem Autorin Marge, die bisweilen eifrig an ihrer Schreibmaschine tippend im Bühnenhintergrund verschwindet, vereinzelt aus der stringenten Handlung heraustritt, um Passagen und Regieanweisungen zu verlesen. Ihr eigenes, im Fortlauf des Stücks entstehendes Manuskript wird scheinbar mit der Handlung synchronisiert.
All das, überdies auch die durchaus komischen, wenn auch bis in den Klamauk reichenden Einschübe Dennis Laubenthals, der nach seinem Tod in der Rolle des Dickie Greenleaf zudem als Freddy Miles, Detektiv Roverini und dessen Assistent agieren darf, tragen zu einem kurzweiligen und zum FWT-Spielzeitschwerpunkt „Lüge und Wahrheit“ passenden Theatererlebnis bei. Dass dies nach einer durch die Filmindustrie beförderten, gleich zweifachen Erhebung des Stoffs in den Rang eines Klassikers („Der talentierte Mr. Ripley“, „Nur die Sonne war Zeuge“) noch möglich ist, spricht Bände: über die engagierte Leistung des Ensembles, zuletzt aber auch über die Schöpferin Ripleys, deren „klammheimliche Sympathie für Missetäter“, wie Highsmith es selbst formulierte, wir bei Aufführungen wie dieser gerne teilen.
„Der talentierte Mr. Ripley“ | R: Thomas Hupfer | 26.-29.10., 23, 24.11. 20 Uhr | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
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