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Kunst und Politik verschmelzen in der Videokunst (Ausstellung „Enigmatische Wahrheiten“)
Cristina Lucas: La Liberté Raisonnée (Film Still), 2009

„Denken macht Spaß und Theorie ist sexy“

30. März 2017

Ekaterina Degot über die Vereinbarkeit von Kunst und Politik – THEMA 04/17 Zukunft Jetzt

choices: Sie sind seit drei Jahren künstlerische Leiterin der Akademie der Künste der Welt. Welchen Einfluss hat Ihre Arbeit auf das kommende Symposium „The Extreme Center“ genommen und was war Ihnen besonders wichtig?
Ekaterina Degot
: Für mich ist das Symposium Teil eines Ganzen, nämlich der Pluriversale und wurde auch so kuratiert. Ich würdemich freuen, wenn unsere Besucher es auch als solches betrachten. Die Pluriversale ist wie ein Magazin aufgebaut, ich habe als Kuratorin immer überlegt, wie die einzelnen Veranstaltungen zusammenpassen könnten. Die Landschaft dieser Pluriversale handelt von den Alten Linken und den Neuen Rechten. Im Symposium „The Extreme Center“ wollen wir dem rechtsextremen Populismus politisch und sozialwissenschaftlich mit Philosophen, Soziologen und Aktivisten begegnen. Aber wir bedienen mit zwei Performances auch die künstlerische Komponente. Das ist uns auch sehr wichtig, weil wir vor allem eine künstlerische Einrichtung sind. Und ich bin sehr froh, dass wir den thematischen Fokus erweitert haben.

Sehen Sie sich in der Verantwortung, Künste und Politik zu vereinen?

Auf jeden Fall. Kunst hat immer eine politische Wirkung. Das bedeutet nicht, dass sie eine direkte Wirkung haben muss, aber das Thematische und das Künstlerische können immer gut vereint werden, wir versuchen da die Balance zwischen Kunst und Politik zu halten.

In einem Interview sagten Sie, dass Sie diskutieren möchten, ob es eine faschistische Ästhetik gibt. Die gibt es doch spätestens seit den 70er Jahren. Was ist heute ästhetisch gesehen denn so anders und diskussionswürdig?

Ekaterina Degot
Foto: Evgeni Gurko
Ekaterina Degot, geboren in Moskau, ist Kunsthistorikerin, Autorin und Kuratorin.Ihre Arbeit setzt sich mit ästhetischen und soziopolitischen Aspekten der Kunst in Russland und Osteuropa auseinander. Sie war leitende Kuratorin in der Tretjakow-Galerie, arbeitete als Kunstjournalistin und Herausgeberin.Seit Ende 2013 ist sie Künstlerische Leiterin der Akademie der Künste der Welt. Kürzlich gewann sie den Igor Zabel Award for Culture and Theory.


Ich bin nicht sicher, dass wir bald etwas Faschistisches sehen können, dass wir etwas sehen und sagen: Oh, das ist faschistisch. Vielleicht wenn Künstler etwas von Arno Breker reproduzieren, das wäre ein Symbol und das kann auch subversiv sein wie zum Beispiel die slowenische Band Laibach, die sehr subversiv mit faschistischen Symbolen arbeitet. Aber natürlich bleibt die Frage: Ästhetisch gesehen, gibt es rechte Kunst? Bis jetzt haben wir nie darüber gesprochen, denn wir haben immer gedacht, alle Künstler würden linkspolitisch denken. Vielleicht war das eine Illusion. Wir erleben eine Normalisierung von rechten Ideen. In Amerika beispielsweise überlegen sich Künstler, ob sie wirklich bei einer Veranstaltung von Trump auftreten sollen. Oder ob sie die Chance wahrnehmen und vor Ort ihre Meinung kundtun. Für Künstler ist diese Situation gar nicht so schlecht, sie können Position beziehen. Und es wird sich zeigen, ob es wirklich rechte, künstlerische Positionen gibt.

Ist da die Bezeichnung Alte Linke und die Neue Rechte nicht plump und wo sind die Neuen Linken bei der Pluriversale?
Natürlich, man muss ja plakativ klingen (lacht). Andreas Speit wird teilnehmen und auch Richard Gebhardt, sie werden mit uns und Mark Terkessidis über die Situation und Entwicklung in Deutschland sprechen. Ich bin auch sehr gespannt darauf, wie diese Grenzen in Frage gestellt werden. Die Rechten benutzen antikapitalistische Rhetorik, die eigentlich aus linken Kreisen bekannt ist. Aber auch die Linken finden Putin gut, weil er antiamerikanisch ist.Das empfinde ich als sehr problematisch und da würde ich mir eine Neue Linke wünschen, die einen frischen Blick auf die Situation wirft.

Die gibt es doch, siehe Graswurzelaktionismus und Bürgerinitiativen, die nicht aus politischer, sondern aus sozialer Motivation heraus z.B. für die Flüchtlingshilfe tätig werden.
Das ist richtig und auch wichtig. Ich würde mir aber ein bisschen mehr Theorie, ein bisschen mehr Selbstkritik wünschen. Ich finde, wenn Situationen in ihrer Komplexität begutachtet werden und die Opfer, sagen wir von Rassismus, nicht nur über sich selbst reden, sondern eine Solidarität mit anderen Opfern herstellen, das ist ein Fortschritt. Solidarität ist das Wichtigste.

An anderer Stelle sagten Sie einmal, dass Sie nicht in akademischer, sondern in diskursiver Weise eine Gemeinschaft bilden wollen. Ist es nicht ein Widerspruch, einen nicht ausschließlich akademischen Diskurs zu wollen und dann nur Akademiker einzuladen?
Ich denke nicht, dass wir zu komplex sind. Kultur ist Arbeit, Kultur ist keine Erholung. Das ist für mich ein Ort, wo diskutiert werden kann und soll. Es gibt kein Zu-kompliziert, allerdings gibt es ein Zu-langweilig. Das wollen wir nicht sein und das bedeutet auch, zu provozieren. Wie auch mit unserem Titel „Die Alte Linke und die Neue Rechte“.

An Anspruch mangelt es in dem Programm nicht und Anspruch macht Spaß, aber wenn nur Experten auf einem hohen Niveau diskutieren, ist das nicht elitär?
Das empfinde ich nicht so, ich bin selbst eine Außenstehende. Ich bin weder Politologin, noch Soziologin. Ich lese einfach die Zeitungen und das ist alles. Es ist immer interessant, Experten zuzuhören und das passiert gar nicht im akademischen Sinne. An der Uni wird ausschließlich akademisch gesprochen, da behauptet aber niemand, das sei elitär. Wir sind viel dynamischer, provokanter und richten uns an ein breites Publikum. Ich wünsche mir weniger Berührungsängste und mehr Mut und dass unsere Veranstaltungen auch besucht werden, wenn sie nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch stattfinden.

Ist es nicht auch eine Art von Provokation, dass viele Veranstaltungen auf Englisch stattfinden und damit Interessenten ausgeschlossen werden, weil sie der Sprache nicht mächtig sind?
Nein, überhaupt nicht. Das heißt nur, dass wir international sind. Wir wären auch sehr glücklich, wenn wir alles übersetzen könnten. Es ist aber nicht immer möglich, die Veranstaltungen mit Übersetzung anzubieten, weil das eben auch sehr kostspielig ist. Ich finde auch, dass internationale Themen auch in internationaler Sprache diskutiert werden sollten, zumal viele unserer Künstler und Vortragenden kein Deutsch sprechen. Und ich möchte unseren Gästen auch zeigen, dass Deutschland ein internationales Land ist und nicht provinziell. Das Symposium „The Extreme Center“ wird in der Volksbühne stattfinden, dem ehemaligen Millowitsch-Theater. Das ist auch eine bewusste Geste, und da werden alle Reden simultan übersetzt. Das hängt also auch immer von unseren Räumlichkeiten und dem Umfang der Veranstaltung ab.

Welche Möglichkeiten gäbe es denn noch, Menschen, die akademisch-theoretisch orientiert sind, mit Menschen wie meiner Mutter zusammenzubringen, die aus politischen Gründen nach Deutschland geflohen ist und wie Sie in Deutschland mit Rassismus konfrontiert wurde?
Das wäre absolut hervorragend, wenn genau diese Menschen miteinander kommunizieren könnten. Das könnte ich mir als künstlerische Veranstaltung vorstellen, aber nicht als politische. Meine Erfahrung ist die, dass Veranstaltungen einen Sprecher brauchen, jemanden der durch den Abend führt und die Menschen auch ermutigt, sich zu äußern. Und das passiert ja oft nach unseren Vorträgen. Aber es ist eine sehr gute Idee, auch mal einen Abend im Sinne von Storytelling zu machen. Allerdings bin ich mehr an Ideen interessiert, als an Gefühlen. Gefühle gehören zum Territorium von Popkultur.

Bedeutet das, Sie distanzieren sich als Akademie von der Popkultur?
Ich denke, dass Popkultur etwas anderes meint. Was ist Popkultur? TV-Serien, Beyoncé? Wenn ja, dann distanzieren wir uns davon. Das gibt es bereits und lässt sich konsumieren. Wir überlegen schon, wie wir in unserem Programm integrativ mit Popkultur arbeiten könnten. Wir veranstalten zukünftig Lesekreise, bei denen wir hoffen, uns mehr zu öffnen, damit die Besucher Lust haben, mit uns und anderen zu diskutieren. Damit wäre die emotionale Komponente auch bei uns stärker präsent. Und wir veranstalten auch immer wieder Konzerte oder Performances, es ist nicht immer nur trocken. Aber es ist immer reflexiv.

Was soll gelesen werden?
Unter anderem Literatur von unseren Symposiumsteilnehmern, meistens auf Deutsch, aber auch auf Englisch. Und Literatur zu unseren aktuellen Veranstaltungen. Es ist uns auch sehr wichtig, dass es nicht rein westlich wird, sondern auch Bücher aus Indien oder der Türkei gelesen werden. Und ich würde mich sehr freuen, wenn wir ein Zentrum für diese Form der Literatur werden könnten.

Was wünschen Sie sich für die Pluriversale VI?
Mehr Offenheit für andere Diskursformen. In Köln sind besonders Konzerte erfolgreich, hier fühlen sich die Menschen wohl. Konzerte können auch eine politische Motivation haben, natürlich. Aber das kennen wir alles schon, ich möchte nichts in diesem Sinne machen. Ich war zum Beispiel Gast beim Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. Die Konferenz war vorbei und es lief nicht gleich Musik zur Abschlussparty, stattdessen lief ein Vortrag von Deleuze auf der Leinwand. Wir haben trotzdem dazu getanzt. Man braucht keine Musik, um zu tanzen. Das ist etwas, das ich machen möchte. Vielleicht denkt auch jemand am nächsten Tag, das war Bullshit. Aber dieser Jemand denkt darüber nach. Denken macht Spaß und Theorie ist sexy.


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