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News From Nowhere Part II © Swooding Architects, Zheng Mahler, Mi You, 2019
Foto: Astrid Piethan, 2019 / Akademie der Künste der Welt

Utopisch denken

27. September 2019

Ausstellung „Sci-(no)-Fi“ im Academyspace – Kunst 10/19

In den Ausstellungsräumen der Akademie der Künste der Welt erwarten einen zunächst architektonische Visionen einer fiktiven asiatischen Megastadt in Form schwarzweißer Animationen oder eines sprechenden LED-„Hologramms“. Im Hauptraum, kinohaft eingerichtet, schwebt ebenfalls auf Hologramm-Ventilatoren (der Renner in China) ein KI-Nachrichtensprecher, der in dieser Stadt der Zukunft in kurzen Kapiteln über den Einfluss von Technologie auf die dortigen Lebensverhältnisse erzählt („News From Nowhere“). In einem „kreativen Forschungsraum“ bringt eine an die Wand projizierte Matrix Oberbebriffe und Stichworte egriffe aus den politischen, sozialen, kulturellen, technischen und ökonomischen Sphären zusammen, z.B. Kryptowährung, die erläutert werden, interaktiv neu angeordnet werden können und in bekannten oder noch unentdeckten Wechselwirkungen Bestandteile der Zukunft sein könnten.


Kuratorin Mi You und Architekt Zheng Mahler
Foto: Jan Schliecker

Gefragt wird, so Akademie-Leiterin Madhusree Dutta, was der mögliche dritte Weg ist neben Kapitalismus und Sozialismus. Die in Peking geborene Kuratorin Mi You ergänzt: „Die Fehler dieser beiden Systeme zu verstehen, die an einem bestimmten Punkt angekommen sind, kann uns dabei helfen, eine dritte Möglichkeit zu finden.“ Mit öffentlichen Workshops – beginnend mit dem Schreibworkshop „Speculative Actions“ am 28./29.9. – will man auf den Recherchen aufbauen, die hinter den Installationen stecken, und einen Dialog über die Zukunft eröffnen. Wieder zielt die Akademie letztendlich in die Praxis. Dutta: „Die Ausstellung soll keine ehrfurchterregenden Bilder der Zukunft bieten, sondern Gedanken und Diskussion anregen.“ Im Zentrum stünde die Zukunft der Technologie in Europa, das anders als China und die USA zwischen Techno-Optimismus und -Pessimismus schwanke.

Bei Akademie-Ausstellungen lasten komplexe Themen auf den Schultern weniger, oft junger Künstler, Wissenschaftler und Kuratoren, die mit wenig sehr viel erreichen müssen. Daher ist es wichtig, sie im Kontext des Programms zu sehen und am besten den Besuch der Installationen mit einer Veranstaltung zu koppeln. Das Gesprächsangebot der Akademie ist umfassend, der Academyspace eine Art Basis, wenn auch in diesem Herbst dort alles zu fern, zu speziell und ungemütlich digital wirkt. Die asiatische Fortschrittsdynamik, die aus der Hauptinstallation spricht, lässt sich schwer mit europäischer Erfahrung zusammenbringen. Ein gewisses Desinteresse könnte die Folge sein. Ist Technik in Europa überhaupt noch das zentrale Thema der Zukunft? Wird sich nicht am Umgang mit konkreten Problemen eher die europäische Zukunft entscheiden?


3D-Animation „Bifurcations and the Path to Chaos“ von Andreas Niegl
Foto: Jan Schliecker

„Sci-(no)-Fi“ (unter anderem auch zu lesen als Sino-Fi) ist Teil des Themenstrangs „Hybrid Transactions“, mit dem sich die Akademie bis kurz vor Weihnachten auf Trab hält. Anders als bei vergangenen Gemeinschaftsausstellungen haben die Künstler und Architekten als Kollektiv gearbeitet, darunter im Fall der Swooding Architects grenzübergreifend zwischen Hong Kong und Shenzhen. Die beiden Metropolen, so erklärt Avangarde-Architekt Zheng Mahler aus der Sonderverwaltungszone, lägen zwar nur zwei Zugstunden voneinander entfernt, durch die chinesische Firewall und inkompatible Betriebssysteme und Suchmaschinen sei die Zusammenarbeit aber keinesfalls einfach gewesen.

Ihre fiktive Stadt schwebt „zwischen“ China und Hong Kong und ist, da sie nicht auf eine der beiden Regierungsformen festgelegt ist, unter Einfluss beider Kulturen ein Ort neuer Entwürfe. Der künstliche Nachrichtensprecher spricht (digital erzeugtes) „Chinglish“, das (hybride) Gebrauchsenglisch in Südchina, seine Berichte nehmen Bezug auf Entwicklungen in beiden Landesteilen wie etwa das Sozialkredit-System. (Wären die Texte im Nachrichtenstil verfasst, hätte das dieser überforderten Installation vielleicht geholfen.) Hybridität ist am Vordringen und eigentlich immer gut, so der Tenor der Vermittlungsarbeit der Akademie. Sie sieht in gemischter Herkunft auch immer die Chance eines besseren Verstehens und neuer Einsichten, vor allem wenn endlich im Rahmen einer „öffentlichen Science-Fiction-Kultur“ (Ausstellungsheft) über Zukunftsthemen gedacht und geforscht wird.

Sci-(no)-Fi | bis 15.12., Fr 15-19 Uhr, Sa/So 14-18 Uhr | Academyspace | Eintritt frei

Jan Schliecker

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