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Annegret Hannawa
Foto (Ausschnitt): Björn Jansen

„Der Arzt muss dieses Vertrauen würdigen“

28. Mai 2025

Teil 1: Interview – Kommunikationswissenschaftlerin Annegret Hannawa über die Beziehung zwischen Arzt und Patient

choices: Frau Hannawa, was sind die häufigsten Kommunikationsfehler oder Missverständnisse zwischen Ärzten und Patienten?

Annegret Hannawa: Es gibt viele verschiedene Fehler – etwa in der Anamnese, der Diagnostik oder bei der Medikation. Am häufigsten passieren laut WHO Medikationsfehler, weshalb Medikationssicherheit heute eine große Herausforderung für die öffentliche Gesundheit ist. Meine Analysen zeigen: Der häufigste Grund für Fehler ist fehlende Kontextualisierung in der Kommunikation. Es spielen dabei viele Faktoren zusammen: Wer spricht mit wem? Gibt es ausreichend Privatsphäre? Was ist die Situation des Patienten – wo kommt er her, wo will er hin? Ziehen Arzt und Patient am selben Strang? Kommunikation ist wie eine Zwiebel: Im innersten Kern entsteht gemeinsames Verständnis – aber er ist von mehreren Schichten umgeben. Jede dieser Schichten – zum Beispiel Beziehung, Zeitdruck, räumliche Umgebung oder kulturelle Unterschiede – kann das Verständnis behindern. Diese Hindernisse müssen durch eine sichere Kommunikation miteinander überwunden werden. Leider passiert das oft nicht. Kommunikation wird als selbstverständlich betrachtet – und das führt zu Missverständnissen, die gravierende Folgen für die Patientensicherheit haben können.

„Ziehen Arzt und Patient am selben Strang?“

Liegt die Verantwortung für gute Kommunikation beim Arzt?

Diese Frage haben wir – schon aus ethischen und moralischen Aspekten – oft in der Forschung beleuchtet. Der Patient ist geschwächt, hat vielleicht Schmerzen oder ist sogar nicht ansprechbar. Deshalb sollte die Hauptverantwortung natürlich beim Arzt liegen – er ist gesund, besitzt Kraft und Wissen, um zu helfen. Darüber hinaus geht es aber um mehr als Verantwortung – nämlich um Beziehung. Was wir Arzt-Patient-Beziehung nennen, ist in erster Linie genau das: eine Beziehung. Und Beziehungen basieren auf Vertrauen. Der Patient geht dabei in Vorleistung. So wie wir uns auf Reisen einem Piloten oder einem Busfahrer anvertrauen und hoffen, dass er uns heile ans Ziel bringt. Der Arzt muss dieses Vertrauen würdigen und mit Vorsicht behandeln. Das ist ganz grundlegende Beziehungsarbeit. Und es gibt noch eine andere Facette. Wir sehen in unserer westlichen Welt nur die Dualität von Arzt und Patienten. Doch es geht auch anders. Ich habe viel über andere Heilungskulturen erforscht und unterrichte auch dazu. Anhand eines Falles von einem inoperablen Tumor, mit dem der Betroffene Hilfe bei der tibetanischen Medizin suchte, wurde deutlich: Hier hat sich sozusagen der Arzt mit dem Patienten an einen Tisch gesetzt und es war fast so, als läge die Krankheit auf diesem Tisch und die beiden schauen sie sich zusammen an. Das Objekt ist nicht der passive Patient gegenüber dem handelnden Arzt, sondern das Objekt ist die Krankheit. Diese Sichtweise löst das „Gegenüber“ auf. Gerade wenn Unsicherheit herrscht und medizinisches Wissen begrenzt ist, sollte eine Behandlung gemeinschaftlich gedacht und gestaltet werden – daraus kann ein großer Gewinn für die Patientensicherheit entstehen.

„Das Gespräch wird weniger technisch“

Manchmal gibt es mehrere Behandlungsoptionen. Halten Sie es für eine gute Idee, als Patientin den Arzt zu fragen, was er tun würde, wenn es um seine Frau oder Tochter ginge?

Das ist eine meiner Standardfragen, wenn ich selbst zum Arzt gehe. Sie ist sehr hilfreich, weil sie die Beziehungsebene öffnet – auf eine einfache, menschliche Weise. Der Patient signalisiert damit: „Ich möchte Ihre ehrliche Einschätzung.“ Das schafft Nähe. Zugleich zeigt es: Auch der Patient kann aktiv dazu beitragen, die Begegnung persönlicher zu machen. Das Gespräch wird damit weniger technisch und mehr von Mensch zu Mensch geführt.

Angesichts des Ärztemangels ist Zeit besonders kostbar. Denken Sie, Teile des Vorgesprächs könnte man zeitsparend durch eine KI erledigen lassen?

Wenn eine KI absolut fehlerfrei arbeiten würde, könnte ich das befürworten – denkbar wären etwa Zusammenfassungen für den Arzt oder vorab gestellte Fragen des Patienten über eine App. Aber so weit sind wir nicht. KI arbeitet mit dem, was Menschen ihr beigebracht haben – sie bildet lediglich bestehendes Wissen ab, mitsamt aller Fehler. Ich habe erst kürzlich erlebt, wie eine KI auf Basis einfacher Dokumente grob falsche Schlüsse zog. Gerade im Gesundheitswesen, wo es oft um komplexe, individuelle Situationen geht, können wir Kommunikation nicht an Maschinen delegieren. Sie kann unterstützen – aber niemals die echte, menschliche Interaktion ersetzen.

Interview: Daniela Prüter

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