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Jürgen Geuter
Foto (Ausschnitt): Martin Peterdamm

„KI streikt nicht“

30. April 2025

Teil 2: Interview – Informatiker und Philosoph Jürgen Geuter über künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt

choices: Herr Geuter, in der Science Fiction erscheint künstliche Intelligenz (KI) oft als Maschine mit Seele oder als überlegene Superintelligenz. Was unterscheidet echte KI von fiktionaler?

Jürgen Geuter: Tatsächlich kommt KI alle paar Jahrzehnte als Begriff wieder auf und jedes Mal steckt technisch etwas völlig anderes dahinter. Heute sind es im Grunde sehr große Statistikmaschinen. Das heißt, man nimmt Daten und füttert damit eine Handvoll von statistischen Gleichungen, die das sogenannte neuronale Netz bilden. Dann werden aus diesen Daten in einem verhältnismäßig langwierigen Prozess Muster extrahiert, die dann wieder angewendet werden können. Diese Mustererkennungs-Maschine kann dann irgendwann erkennen, wann etwa eine Maschine kaputtgeht und entsprechend voraussagen: In einer Stunde wird diese Maschine wahrscheinlich kaputtgehen. Das kann man auch mit Text machen, wie es eben die bekannten Modelle wie ChatGPT tun. Für deren Training haben die Entwickler so viel Text genommen, wie sie finden konnten – das komplette Internet, jedes Buch das sie finden konnten, alles – und haben die Muster, die aus menschlichem Text hervorgehen, ins Modell eintrainiert. Diese Muster kann man anschließend mit einem Prompt wieder auslösen. Dabei sind statistische Gleichungen am Werk, die, ausgehend von dem Prompt, im Prinzip immer das Wort berechnen, das am wahrscheinlichsten als nächstes folgt, darauf dann das nächste und wieder das nächste, immer wieder. So baut sich dann langsam ein Text auf, indem immer wieder ausgewürfelt wird, was das wahrscheinlich folgende Wort ist. Wenn man das verstanden hat, merkt man natürlich, dass die Technologie mit dieser Vorstellung in der Science Fiction – dass es ein echtes KI-Bewusstsein gibt, das eine innere Welt und eine Vorstellung von der äußeren Welt hat – nicht zusammenpasst. Eine KI, wie wir sie heute kennen – und ich stelle eigentlich immer Anführungszeichen auf, wenn ich „KI“ sage – hat keine Vorstellung von der Welt. Sie versteht nicht, was Gravitation ist. Sie kann Sätze und Texte bauen, die aussehen, als würde sie es verstehen, weil das eben in den Mustern von Texten enthalten ist, die von Menschen geschrieben wurden. Aber die KI versteht nicht warum – es gibt überhaupt keine Form von „Verstehen“. Die KI generiert einfach immer nur das nächstwahrscheinlichste Wort. Das ist der fundamentale Unterschied, den man verstehen muss. Es gibt einige – nicht sonderlich seriöse – Wissenschaftler:innen, die behaupten, wenn man jetzt nur noch mehr Text in diese Statistikmodelle packt und die noch größer macht, wird irgendwann auf magische Weise dieser Sprung erfolgen und plötzlich wird das System wirklich intelligent sein, bisher gibt es aber keine Anzeichen dafür. Man benutzt diesen Begriff heute vor allem aus zwei Gründen: Das eine ist Marketing – man bekommt halt sehr viel Geld, wenn man behauptet, dass man in Reddit-Posts Gott gefunden hat. Zweitens man darf nicht vergessen, dass viele Leute, die diese These vertreten, einem quasi-religiösen Kult anhängen, den man Singularitarismus nennt. Diese Leute glauben wirklich, dass wir diese Superintelligenz herbeiführen müssen, um sie diese die Welt regieren zu lassen, damit die Menschheit eine Zukunft haben kann. Das wirklich eine faktisch religiöse Bewegung, die ihren Gott selbst erzeugen möchte. 

„Zentrale Arbeitsschritte sind nicht mehr nachvollziehbar“

Die Technologie hat ein fieberhaftes „Wettrüsten“ um die Spitzenposition ausgelöst – zwischen Unternehmen, zwischen Staaten. Drohen verhängnisvolle Entwicklungen durch unüberlegte Entscheidungen?

Da würde wohl jeder zustimmen, dass das so ist – die Frage ist, auf welcher Ebene. Es werden einfach unendliche Mengen Geld in diese Systeme gepumpt. Microsoft hat Milliarden investiert, um OpenAI hochzupäppeln, Google investiert in verschiedene Unternehmen – es gibt einige Start-Ups, die einfach unvorstellbare Mengen Geld verbrennen. Im Prinzip hat sich der gesamte, vor allem der US-amerikanische, Stock Market darauf eingeschossen, auf KI zu wetten und darauf, dass man niemanden mehr bezahlen muss und alle Jobs ersetzt werden. Aber wenn das kollabiert, kann das zu ähnlich nachgelagerten ökonomischen Effekten wie bei einer Bankenkrise führen: Von einem Moment auf den anderen brechen diese Unternehmensbewertungen zusammen, weil sie keinen Sinn ergeben. Das ist die eine Gefahr, die sich aus diesem undurchdachten Wettrüsten ergibt: Alle setzen sämtliches verfügbares Kapital darauf, aber irgendwann fällt auf, dass der Kaiser keine Kleider trägt und es folgt das unsanfte Erwachen. Auch Investment Fonds wie Sequoia Capital sagen: Sorry, egal wie gut die Systeme sind, die Kohle, die ihr da reinsteckt, holt ihr nie wieder raus – und das, was ihr bisher vorzuweisen habt, ist auch gar nicht so toll. Die andere Gefahr besteht darin, dass diese Systeme bestimmte Eigenschaften haben, die man in ganz verschiedene Prozesse einbauen kann, um effizienter zu werden. Was dann aber passiert, ist, dass zentrale Arbeitsschritte nicht mehr nachvollziehbar sind. Da diese Systeme statistisch sind, kann man nie genau voraussagen, was dabei herauskommt und man kann im Nachhinein auch nicht mehr erklären, warum es so herausgekommen ist. Denn das System hat einfach eine Statistik ausgewertet und eine Möglichkeit ausgewählt – warum? Weil sie die höchste Wahrscheinlichkeit hatte. Diese Systeme haben natürlich Muster übernommen, zum Beispiel wenn sie von der Polizei eingesetzt werden. Wenn man eine dunklere Hautfarbe hat, wird man von der Polizei häufiger kontrolliert, auch in Deutschland, dann wird man anders behandelt. Das steckt auch in den Daten drin, die diese Systeme verinnerlichen. Natürlich haben Menschen selbst Vorbehalte, aber durch die scheinbar „objektive“ Maschine werden Vorbehalte „reingewaschen“. Wenn die Maschine rät, diese bestimmte Person nicht einzustellen, liegt es den Schluss nah: Das ist ja eine objektive Berechnung, das wird schon stimmen. Auch das ist eine große Gefahr: Dass wir uns auf eine Welt von extremer Intransparenz zubewegen, in der niemand mehr versteht, warum Entscheidungen eigentlich getroffen werden. Dann heißt es, „der Computer hat das so gesagt“ und dem Computer wird blind vertraut. Es wird an allen möglichen Stellen eingesetzt werden, wo es zwar keine technischen Probleme erzeugt, aber soziale und rechtliche Probleme.

„Technik, um die Macht der Angestellten zu untergraben“

Die Automatisierung hat körperliche Arbeit entwertet. Ergeht es durch KI der „Schreibtischarbeit“ ähnlich? 

Es wird definitiv Jobs geben, in denen KI die Arbeit vieler Leute automatisieren kann – Spam-Erzeugung etwa. Diese ganze Suchmaschinenoptimierungs-Industrie ist tot, SEO-Beratung, das kann KI auch. Oder zum Beispiel auch das Management Consultment, da wird ohnehin nur heiße Luft erzeugt, das kann eine KI auch, oder zum anderen auch Geschäftsführungspositionen, also CEOs – irgendwelche Entscheidungen aus dem Bauch heraus treffen, das können auch KIs, da gibt es schon interessante Studien. Aber wann immer ein Unternehmen ankündigt, es würde jetzt so und so viele Angestellte durch KI ersetzen, lohnt es sich drei Monate später nochmal zu sehen, was dabei herausgekommen ist. Ein schönes Beispiel ist ein Fall aus den USA: Die Mitarbeiter einer Hotline, die Menschen mit psychischen Problemen betreut haben, wollten mehr Geld und haben eine Gewerkschaft gegründet. Daraufhin hat das Unternehmen alle rausgeschmissen und gesagt, wir machen das jetzt mit KI. Fünf Tage später mussten sie das System wieder ausschalten, weil die KI den Klienten extrem schädliche Ratschläge gegeben hat. Der Bezahldienstleister Klarna hat vor einigen Monaten gesagt: Wir brauchen keinen Support mehr, das macht jetzt alles KI, wir werden das KI-Unternehmen. Zu dem Zeitpunkt wollte Klarna gerade an die Börse gehen, es war also eine gute Erzählung um den eigenen Wert hochzutreiben. Vor wenigen Wochen aber ließ der Chef von Klarna verlautbaren: Nein, wir wollen, dass Klarna der Ort ist, wo man mit einem echten Menschen sprechen kann, der für einen Probleme löst, als Qualitätsmerkmal. Es gibt an vielen Stellen immer wieder einen Backlash, oft auch an überraschenden: Wenn man sich bei Anthropic, einem der großen KI-Hersteller, um einen Job bewirbt, sagt Anthropic explizit: Wir wollen nicht dass du KI bei der Erzeugung deiner Bewerbung nutzt – weil sie eben wissen, dass es ein Problem ist. Es gibt diese große Erzählung, dass KI einfach alles kann. Nun gibt es die Technologie eben schon lange genug, dass es tatsächliche Studien gibt – eine große Studie der BBC hat gerade untersucht, ob KI tatsächlich Inhalte zusammenfassen kann und hat festgestellt: In 60 bis 90 Prozent der Fälle, je nachdem wo man die Grenze zieht, sind die Zusammenfassungen der KI grob falsch oder zumindest nicht richtig. Viele dieser Erzählungen, was KI alles besser kann, lösen sich bei näherer Betrachtung in Luft auf. Von daher glaube ich nicht, dass es diese bedeutend große Ersetzungsbewegung wirklich geben wird, nicht in Jobs in denen ernsthafte Arbeit geleistet wird. Wofür die Technik eigentlich gebraucht wird, ist, die Macht von Angestellten zu untergraben. Du willst eine Gehaltserhöhung? Dann nehmen wir eben eine KI, dann hast du eben gar keinen Job mehr. Dafür ist sie sehr, sehr nützlich und das funktioniert perfekt, schon jetzt. Aber die Erzählung „KI kann alles“ – wenn man in irgendeiner Form Verantwortung übernimmt, für das Produkt oder den Inhalt, den man ausgibt, stimmt sie einfach nicht.

„Langfristig ein Eigentor“

Auch in „white collar jobs“ gibt es viel Routine und standardisierte Abläufe …

Komplett trivialisierten Routine-Tätigkeiten kann man an vielen Stellen „okay-ish“ automatisieren. Ich arbeite in einer Medienagentur, wenn da die Designer frisch aus dem Studium kommen, bekommen sie im Praktikum Aufgaben wie „Photoshop‘ mal das da aus dem Bild raus, das können wir nicht brauchen“. Eine Routine-Tätigkeit, das können heute KI-Systeme lösen. Auf der Ebene wird man das tun, da wird man das auch in der Breite tun. Das hat aber natürlich Kosten, über die keiner reden möchte – neben der Tatsache, dass man sich an den entsprechenden Anbieter kettet und der morgen entscheiden kann, dass sein Service ab morgen teurer ist – denn, woher kommen eigentlich die Experten, die die komplizierten Dinge machen? Die fallen nicht vom Himmel, auch die lernen, indem sie mit den Routine-Tätigkeiten anfangen. Als Journalist muss man erstmal DPA-Meldungen abschreiben, bevor man eine eigene Handschrift entwickeln kann, bis man weiß, wie man journalistische Texte bearbeitet. Wenn wir das wegrationalisieren, wird der Fachkräftemangel in wenigen Jahren nur noch deutlich schlimmer werden. All diese Aufgaben, in denen sich Menschen ihre Kompetenzen erarbeiten, gibt es nicht mehr. Das kann kurzfristig wohl Ausgaben optimieren, aber langfristig gesehen ist es eine Strategie, die man wohl als Eigentor bezeichnen kann. 

Kreative Arbeit schien vor dem KI-Boom zu den sicheren Tätigkeiten zu gehören. Generative KI macht nun aber dem Mittel- und Unterbau der Kreativindustrie Konkurrenz, etwa Grafikdesignern, Illustratoren, Übersetzern oder Studiomusikern.

Auf jeden Fall. Wenn man heute als kreativ Arbeitender, als Illustrator, Grafiker oder Übersetzer – Übersetzer trifft es eigentlich am härtesten – ein Angebot schreibt, kommt meist die Antwort „Ne sorry, das ist zu teuer, dann mach ich das mit ChatGPT“, oder mit MidJourney oder ähnlichem. Diese Berufsgruppen trifft das brutal, aber nicht deswegen, weil diese Systeme so gut sind, sondern weil sie gerade gut genug sind, dass man wahrscheinlich damit durchkommt. Eine DeepL-Übersetzung reicht, wenn ich eine französische Internetseite einfach nur oberflächlich verstehen muss, um einschätzen zu können, ob da was Interessantes dran ist. Das ist genau das, was an dieser Stelle weh tut. Gleiches kann man bei den Bildgeneratoren beobachten: Generierte Bilder erkennt man gar nicht mehr unbedingt an groben Fehlern, wie sechs Fingern oder ähnlichem, sie haben aber einfach einen sehr standardisierten Look. Und dieser Look ist ab jetzt eben auch der Standard: Statistiken gehen davon aus, dass es schon jetzt mehr KI-generierte Bilder gibt, als die Menschen in der Geschichte der Fotografie jemals Fotos gemacht haben, inklusive aller Fotos von unserem Essen, unseren Katzen, Urlauben oder Kindern. Wir machen schon viele Fotos, trotzdem nehmen die generierten Bilder überhand.

„Kreativität ist nicht nur das Ergebnis, es hängt ein Prozess daran“

Obwohl MidJourney und Co. letztlich nur Remix-Maschinen sind. Wird kreative Begabung überflüssig?

Natürlich sind diese Maschinen nicht kreativ. Das kann man mit einfachen Tests feststellen, wie ein schönes Beispiel zeigt: Für eine Werbekampagne einer Firma wollte deren Geschäftsführer die „Das Glas ist halbvoll“-Metapher visualisieren, allerdings sollte das Wasser die linke Hälfte ausfüllen, während die rechte leer bliebe, nicht obere und untere Hälfte – kein einziger KI-Bildgenerator konnte das darstellen. Weil es eben nicht in den Trainingsdaten enthalten war. Einem Studenten, der bei uns arbeitet, den kann ich damit beauftragen, der kann eine Lösung voraus denken und Kreativität einbringen, das ist keine Standardlösung und deswegen kennen diese Systeme sie nicht. Es erinnert mich immer daran, wie mein Vater über moderne Kunst spricht. Er sieht ein abstraktes Bild und sagt: „Das hätte ich auch malen können“. Stimmt, hast du aber nicht. Warum hast du es nicht gemalt, diese Person aber schon? Warum hat sie es so gemalt? Kreativität ist nicht nur das Ergebnis, sondern es hängt ein Prozess daran. Warum wollen wir wissen, wie der Künstler oder die Künstlerin das gemacht hat, warum lesen wir ihre Geschichten oder sehen uns ihre Werke an? Weil sie uns Kontext geben und wir dadurch erst verstehen, warum es subversiv ist, warum es interessant ist. All das gibt es nicht bei Midjourney, Midjourney erzeugt nur ein Produkt. Da ist jeder Kontext weg, der interessiert nicht in einer Welt, die nur aus Excel-Sheets besteht, in der am Ende einfach eine Zahl hochgehen muss. Aber für uns als soziale Wesen, die Kultur und Kreativität immer auch als sozialen Austausch sehen, eben schon.

„Es geht darum zu sagen: Ich brauche dich nicht“ 

Wer noch Arbeit hat, könnte sich in schwächeren Verhandlungspositionen wiederfinden. Wie wirkt sich das auf Arbeiterinteressen und Arbeitskämpfe aus?

Es gibt ein konkretes, aktuelles Beispiel aus den USA: Die Belegschaft eines Unternehmens streikte und der Chef von Perplexity, einer KI-Suchmaschine, postete als erstes auf X: Wenn deine Leute streiken, ruf mich an, wir setzen einfach Perplexity ein, dann brauchst du diese Leute nicht mehr. Es ist schon nicht mehr Subtext, das ist Text. Das ist genau das, was diese Unternehmen verkaufen, das werden wir an vielen Stellen sehen, denn es geht darum zu sagen: Ich kann das hier auch beenden, ich brauche dich nicht. Das ist der große Hebel, das ist das Problem, das KI löst: Das Problem von Geschäftsführenden, dass sie ihren Angestellten Gehalt zahlen müssen. Das soll aufhören, dafür soll KI der Hebel sein. Ich habe hier eine Grafikdesignerin, die macht gute Arbeit, will aber auch ordentlich bezahlt werden – also setze ich eben jemanden ohne künstlerische Fähigkeiten dahin, der den ganzen Tag Midjourney mit Prompts zumüllt, denn diese Person ist viel billiger. Was dabei herauskommt, ist vielleicht okay genug, aber auf jeden Fall ist es günstiger, als eine Person einzustellen, die es wirklich kann. Qualifikation und Arbeitserfahrung werden abgewertet werden und es wird schwerer werden, dafür die Gehälter zu bekommen, die man eigentlich verdient. Das werden wir auch im Bereich von Arbeitskämpfen sehen. Wenn Gewerkschaften Streiks organisieren, wird das Argument kommen: „Wir brauchen KI, denn KI streikt nicht.“ Das ist schon ein signifikantes Problem, aber vor allem ist es wieder ein kurzfristiges Fokussieren auf bestimmte Dinge. Wenn wir über die Gefahren der KI reden, kann man auch über die Umweltbelastung sprechen, aber die allergrößte reale Gefahr ist genau das: die Entmachtung von Arbeitnehmer:innen, von Gewerkschaften, von Arbeitnehmerrechten und -interessen. Weil man immer drauf zeigen kann: Guck mal, der Roboter dahinten, der macht jetzt deinen Job. 

Es erscheint einleuchtend, darin die Hauptmotivation für die rasante Entwicklung zu sehen … 

Möglicherweise nicht bei den Überzeugungstäter:innen, die eine KI bauen wollen, die dann zum Gott wird und uns regiert. Aber bei Unternehmen wie Microsoft, diesen Automatisierungsunternehmen, die mit KI alle möglichen Dinge tun wollen, ist das das eigentliche Argument, das ist das, was sie verkaufen. Dann ist auch die Qualität gar nicht mehr so wichtig, denn für ein Unternehmen ist ja nicht wichtig, dass seine Produkte die beste Qualität haben, sondern dass die Profitmarge so groß wie möglich ist. Ja, die Leistung nimmt ab, aber der Preis nimmt eben so viel mehr ab, dass es sich wieder rechnet.

„Zurzeit verdient niemand Geld mit KI“

Wie geht’s weiter? Wird der Siegeszug der KI neue Gesellschaftsschichten entrechten, wird der Hype zusammenbrechen oder ist doch eine Utopie absehbar?

Es ist schon interessant, dass wir unheimliche Mengen Geld investieren, damit sich Tech-Bros Sklaven bauen können, die sie möglichst weit von Interaktionen mit der realen Welt entkoppeln. Sie wollen nicht jemanden anrufen und selbst einen Tisch reservieren müssen, sie wollen, dass Mama sich um alles kümmert – aber Mama hat keine Zeit mehr, darum brauchen sie eine KI. Utopisches Potential sehe ich nicht. Aber auch, weil ich Menschen mag und es cool finde, mit Menschen zu tun zu haben, und wenn diese Menschen etwas zu essen haben, finde ich das auch gut. Man darf diesen Kampf nicht aufgeben. Wenn man sagt, jetzt ist die Technologie da und sie ist alternativlos, stimmt das eben nicht. Erstens gibt es immer die Möglichkeit zur Regulation. Es gibt jetzt diesen AI Act, darin gibt es ein paar Hebel, mit denen man etwas erreichen kann. Vielleicht sollten sich auch die Gewerkschaften schlau machen und in Arbeitsverträgen zusätzliche Ausschlusskriterien schaffen, damit bestimmte Arten KI einzusetzen nicht erlaubt werden. Es gibt eine Menge, was man tun kann. Das funktioniert nur, wenn man wirklich sehr breite Bündnisse schmiedet, sodass quasi alle verlangen, dass es so ist. Ein entsprechendes Beispiel gab es bereits in den USA: Bei den Hollywood-Autor:innen, die 2023 180 Tage lang gestreikt haben und die damit erreicht haben, dass man sie nicht zwingen kann, KI einzusetzen und dass man den Einsatz nach außen auch deklarieren muss. Das ist auf jeden Fall ein Erfolgsmodell, über das man nachdenken muss. Man muss sich außerdem klar machen, dass zurzeit niemand mit KI Geld verdient – außer NVidia, die die Hardware dafür verkaufen. OpenAI etwa wird in diesem Jahr voraussichtlich sechs bis zehn Milliarden Dollar verbrennen. Und der Hype bricht allmählich: Microsoft hat gerade sehr viele Verträge für Rechenzentren, die sie eigentlich mieten wollten, wieder gekündigt. Dieser massive Infrastrukturausbau, der da angeschoben wurde – den Leuten fällt gerade auf, dass sich das nicht rechnet. Das ist natürlich auch ein Hebel, wenn man zeigt: Guck mal, wir versenken wahnsinnig viel Geld, warum eigentlich? Es gibt schon starke Möglichkeiten gegen den allumfassenden Einsatz von KI vorzugehen. Das heißt ja nicht, dass der Einsatz komplett verboten wird. Es gibt diverse Bereiche, in denen man sie nutzbringend einsetzen kann, erst wenn man es bewusst und kontrolliert tut und nicht behauptet, dass Gott der Maschine entsteigen wird. Wenn man sich auf diesen seriöseren Modus zurückzieht, hat man eine neue Technologie, mit der man auch etwas Cooles machen kann und muss sich nicht mit diesem Müll beschäftigen. Wenn ich über KI spreche, ist es mittlerweile so, dass die meisten sagen: Ich kann es eigentlich nicht mehr hören. Diese Stimmung schlägt sich auch schon in Studien nieder. In Hongkong hat man zwei Testgruppen das gleiche Produkt gezeigt, und der einen Gruppe gesagt: Das ist das „Produkt“, und der anderen Gruppe: Das ist das „Produkt mit KI“ – und das „Produkt mit KI“ wurde als schlechter bewertet, obwohl es identisch war. Wenn man etwas mit KI assoziiert, reagieren viele Leute inzwischen mit einer gewissen Abscheu. Es ist nicht mehr innovativ, einen KI-Chatbot in seine Seite zu integrieren, der Reiz des Neuen ist weg. Da sagen die Leute „Chatbot, schön und gut, aber ich will jemanden anrufen, denn bei mir geht gerade das Wasser nicht“. Diese Gegenbewegung zu kanalisieren und eben auch in regulatives Regelwerk einzuhegen, das wird die Herausforderung der nächsten Jahre sein.

Interview: Christopher Dröge

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