Wenn Körper und Räume immer stärker privatisiert werden, wie lässt sich dann die Liebe zu einer politischen Kraft machen? Wie lassen sich andere Formen des Miteinanders erproben? Fragen, die sich das irisch-deutsche Duo Ruairí Donovan und Asaf Aharonson in ihrem Tanz-Stück „Ghosts“ stellen und mit denen sie an Überlegungen des Theoretikers Michael Hardt anknüpfen. Die ästhetische Lösung, die die beiden Tänzer wählen, ist so einfach wie schwierig: Sie bringen ihre eigene intime Beziehung auf die Bühne, sie performen sie als Tanz. Dabei verschränken sich Intimität und Obszönität, Privatheit und öffentliche Zuschaustellung untrennbar ineinander und werden auf schräge Weise verknüpft mit der Zuneigung zwischen einem Jungen und einem Affen. Ob sich daraus ein politischer Impuls gewinnen lässt, muss jeder selbst entscheiden. Asaf Aharonson ist noch mit einer weiteren Produktion zu Gast in Köln. In „Dance Box“ vonTümay Kılınçel & Team kann sich jeder einzelne Besucher wie bei einer Jukebox einen Lieblingstanz aus einem Set von 15 Tänzen auswählen und sich im Innern eines Wohnwagens „vortanzen“ lassen, ganz intim – allerdings wird das Geschehen im Wohnwagen aufgezeichnet und an einem öffentlichen Ort übertragen.
„Ghosts“ und „Dance Box“ sind zwei Stücke, die im Rahmen von theaterszene europa 2016 in der Studiobühne zu sehen sind. Das binationale Festival versammelt diesmal freie Gruppen aus Irland und Deutschland. Es geht dabei weniger um eine Bestandsaufnahme des irischen Theater als um eine Begegnung, um Positionen und Haltungen im ästhetischen Mahlstrom. Ebenfalls mit zwei Produktionen vertreten ist der irische Künstler Darragh McLoughlin / Squarehead Productions. Doch wie soll man seine beiden Stücke „Fragments of a Mind“ und „The Whistle“ nennen: Performance, Objekttheater, Physical Theatre oder New Circus? „The Whistle“ spielt mit der Vorstellungskraft, Erwartung und Erinnerung der Zuschauer. Mit dem ersten Pfiff auf der Trillerpfeife schließen die Besucher die Augen mit dem zweiten öffnen sie sie wieder – dazwischen ist etwas passiert, das an filmische Schnitte oder den Black im Theater erinnert. Zum Einsatz kommen auch weiße Kugeln, mit denen der ausgebildete Jongleur McLoughlin immer wieder arbeitet. In „Fragments of a Mind“ liegen gleich mehrere auf der Bühne und zwischen ihnen steht ein Mann, der um die Gewissheit seiner eigenen Existenz ringt. In der Konfrontation mit den Objekten spielt McLoughlin immer wieder mit den Möglichkeiten der Narration in einem nichtnarrativen Kontext. Darüber hinaus übt sich das Kölner Festival in der Grenzüberschreitung: Breach&Quinn versuchen sich mit „Score“ am Reenactment eines Films, Anja Müller hat ihr Beat-Musical „La Mula“ für eine einzige Person konzipiert. Die Truppe anonymoUS lüftet weder vor, während, noch nach ihrem Stück „Insight Men“ ihre Identität. Bain sult as!
Theaterszene Europa – ein irisch-deutsches Festival | 14.-21.5. | Studiobühne | studiobuehnekoeln.de
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