Große Feiern gibt es nicht, dafür ist man zu nahe an der Realität. Dabei geht die Casamax nun in das 31. Jahr ihres Bestehens. Hille Marks war von Anfang an im Boot, sie hat das Theater auf Kurs gehalten. Keine leichte Aufgabe in den schwierigen Gewässern der freien Szene, die immer mit finanziellen und künstlerischen Herausforderungen zu kämpfen hat. Als Theater für Erwachsene gründete eine Gruppe von Enthusiasten, zu der 1988 auch Brasilianer und Italiener gehörten, diese einzigartige Bühne in einem Gewerbehof in Köln-Sülz unweit der Universität. „Wir wollten damals neue Darstellungsformen entwickeln und hatten genug von literarischen Bühnen, wir wollten hin zum Körpertheater“, erinnert sich Hille Marks. Aus diesem Gedanken erwuchs dann später die Idee zur „Gesellschaft der Düfte“. Eine erfolgreiche Produktion, die nach einer außergewöhnlichen Fortsetzung verlangte. Denn zu Beginn des Jahrtausends befand sich Köln-Sülz statistisch in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit Berlin-Prenzlauer Berg um den Titel des kinderreichsten Stadtteils in Deutschland. Mit jedem Jahr wechselte die Führung und da lag die Überlegung nahe, auch einmal eine Produktion für das junge Publikum zu riskieren. „Wonach riecht es hier?“ funktionierte dann auch auf Anhieb.
Heute zählt die Casamax zu den renommiertesten Bühnen der Stadt. Zweimal gewann das Theater mit Regiearbeiten von Matthias Weiland den Kölner Theaterpreis und inzwischen verzeichnet man alleine sieben Nominierungen. Das spricht für beständige Qualität. 2012 stand der Casamax zudem ein „Glücksfall“ ins Haus, wie Hille Marks betont. Damals bewarb sich Ragna Kirk um eine Stelle. „Ich habe ihr gesagt, das ist toll, aber ich habe kein Geld. Sie ist trotzdem gekommen“, erklärt Marks, die sich seither die Leitung mit der ehrgeizigen Theatermacherin teilt, die zuvor die Organisation des Orangerie-Theaters im Volksgarten bewerkstelligt hatte. „Wir schmiegen uns nicht an die Zeitgeist-Themen an“, sagt Ragna Kirk, „sondern verstehen uns als politische Theatermacherinnen. Es ist wichtig im Kindertheater zu fragen, was Demokratie bedeutet und wie wir in einer immer schneller getakteten Gesellschaft miteinander umgehen.“ Sie will, dass „sich etwas in den Menschen verändert hat, wenn sie hier heraus gegangen sind“.
Dass es sich hier nicht um große Worte handelt, wie man sie so häufig von Theaterleuten hört, beweist der Spielplan der Casamax. Ein Stück wie „Wer? Wie? Was? Wal? Warum?“ beschäftigt sich mit Umweltzerstörung. In „Don Qui 2x-=+“ erzählen Esel und Pferd die Geschichte von Don Quichote und Sancho Pansa. Sehr originell und voller kluger Gags wird hier Weltliteratur für Kinder geboten. „Die Tochter des Sargmachers“ erzählt auf eine Weise vom Tod, die man nicht mehr vergisst. Nach „Mondkalb und Bachwiesel“ ist man für alle Zeit für Lyrik und Reime gewonnen und „Frau Meier, die Amsel“ spielt das Theater seit fast 20 Jahren, vielleicht weil das Stück Wolf Erlbruchs Bildern so nahe kommt.
In der Casamax wird das Theater mit jeder Produktion neu erfunden. Es ist ein Genuss, zu beobachten, wie jeder Stoff seine eigene Erzählform erhält. Das Theater wird hier als Labor verstanden, in dem das ausprobiert und diskutiert werden kann, was sonst nirgendwo zur Sprache kommt. Ragna Kirk musste die Erfahrung machen, dass viele Kinder gar nicht wissen, dass auch an ihrer Schule Flüchtlinge unterrichtet werden. Wenn es um Umweltschutz geht, dann scheint das Schicksal der Wale weit entfernt, bis man auf die Plastiktüten aus dem Supermarkt kommt, an denen die Fische verenden.
Derzeit ist „Heimat A.T.“ das Stück, mit dem man sich in die Flüchtlingsdebatte einmischt. Wie sehen die Ängste jener aus, die zu uns kommen und wie sehen die Ängste derer aus, die ihren Wohlstand von anderen bedroht sehen? In der Casamax gibt es keine voreiligen Antworten, aber immer eine Möglichkeit, die Welt aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Ein Kunststück, das nur wenigen Theatern gelingt, aber den Besuch im lichten Hinterhof an der Berrenrather Straße stets zu einem inspirierenden Erlebnis macht.
Casamax Theater | Berrenrather Str. 177 | www.casamax-theater.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
Vergessene Frauen
„Heureka!“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 06/24
Angst
Beobachtung eines Kritikers im Kindertheater — Bühne 02/23
Weltretter außer Dienst
„Heldenhaft“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 10/22
Erinnerungen ans Wasser
„Wer? Wie? Was? Wo? Wal! Warum?“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 09/22
Hauptrolle für Emotionen
Theater ImPuls realisiert pädagogisches Projekt – Spezial 07/22
Ballett des Zorns
„Wut im Bauch“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 05/22
Wagners ganz großes Drama
„Götterdämmerung für Kinder“ an der Oper Köln – Bühne 05/21
Streamchen statt Bützchen
„Michel aus Lönneberga“ am Junges Theater Bonn – Bühne 02/21
Suppe ist für alle da
Kinderoper „Pünktchen und Anton“ als deutsche Premiere – Bühne 02/21
Zuhören, um die Zukunft zu retten
Radiomärchen zum Mitmachen: „Hurly*Burly“ von Paradeiser – Spezial 01/21
Kindgerecht gekürzt
Kinderoper zeigt Wagners „Siegfried“ – Oper 12/19
Freude und Bedrückung
35. Vergabe der Kölner Tanz- und Theaterpreise in der SK Stiftung Kultur – Bühne 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Lang lebe das Nichts
„Der König stirbt“ am Schauspiel Köln – Auftritt 12/24
„Andere Realitäten schaffen“
Dramaturg Tim Mrosek über „Kaputt“ am Comedia Theater – Premiere 12/24
Vererbte Traumata
Stück über das Thiaroye-Massaker am Schauspiel Köln – Prolog 12/24
Selbsterwählte Höllen
„Posthuman Condition“ am FWT – Theater am Rhein 11/24
Biografie eines Geistes
„Angriffe auf Anne“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 11/24
Tanzen gegen Rassentrennung
„Hairspray“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 11/24
„Die Hoffnung muss hart erkämpft werden“
Regisseur Sefa Küskü über „In Liebe“ am Orangerie Theater – Premiere 11/24
Kampf gegen Windmühlen
„Don Quijote“ am Theater Bonn – Prolog 11/24
Keine Macht den Drogen
„35 Tonnen“ am Orangerie Theater – Prolog 10/24
Die Maximen der Angst
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei – Theater am Rhein 10/24
Die ultimative Freiheit: Tod
„Save the Planet – Kill Yourself“ in der Außenspielstätte der TanzFaktur – Theater am Rhein 10/24