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„Trude Herr oder: Es ist besser in der Sahara zu verdursten, als in Köln-Lindenthal auf die Rente zu warten“
Foto: Meyer Originals

Zwischen Slapstick und Selbstfindung

04. Oktober 2017

Et hätt noch immer joot jejange: „Trude Herr“ im Theater im Bauturm – Theater 10/17

Am Anfang ist da noch die Ruhe vor dem Sturm. Oder nach dem Sturm, wie man´s nimmt. Matthias Buss als Trude Herr, das Gesicht verdeckt von einem riesigen Strohhut, der Vergangenheit und der alten Heimat Köln nachsinnend, steht in ihrem Exil auf den Fidschi-Inseln. Sebastian Kreyer, Regisseur und schauspielerisches Gegenstück in Personalunion, taucht in seiner ersten Rolle auf: als Möwe. Buss geht auf sie zu, doch die Möwe schreckt zurück. Selbst hier misslingt die Integration. Auch auf den Fidschis bleibt Trude Herr vor allem eines: eine Außenseiterin.

Aus dieser Außenseiter-Perspektive heraus, als scharfsinnige, tragikomische Possenreißerin blickt Trude Herr, gemeinsam mit „Gustl“, ihrem ewigen Protegé und besten Freund Gustav Schnellhart (auch Sebstian Kreyer) nicht nur zurück auf ihr eigenes Leben, sondern gleichzeitig in das Seelenleben Kölns und der Bundesrepublik der Nachkriegszeit. Trude Herr taugt für diese Untersuchung aus mehreren Gründen. Zunächst ihre urkölsche Mentalität, die bis zur Lebensphilosophie erhoben wird. Gleichzeitig ihr konfliktreiches Verhältnis zur Heimatstadt, die sie schließlich zur Flucht und ins Strand-Exil treibt. Dann die Herkunft: Durch ihren Vater, der während der NS-Zeit lange im Gefängnis und zwischenzeitlich auch im Konzentrationslager saß, wurde sie sozialistisch und anti-religiös erzogen. Und das im erzkatholischen Köln. Und zuletzt: ihr Auftreten als pummelige Ulknudel, die als solche ihre Schublade im harten Schowgeschäft findet und doch eigentlich viel mehr sein will als das. Gustl dazu: „Als Trude sich zum ersten Mal beim Theater bewarb, wollte sie die Rolle der Lotte. Bekommen hat sie eine Rolle bei Max und Moritz.“


Sebastian Kreyer und Matthias Buss in „Trude Herr“, Foto: Meyer Originals

Zwischen diesen großen Konfliktlinien bewegt sich das Leben der Trude Herr, und mit diesem Matthias Buss über die Bühne. Schnell verfliegt die anfänglich bedächtige Stimmung. Mit jeder Menge Leidenschaft, Spaß und Esprit werden Schlaglichter geworfen auf eine wechselvolle Biografie zwischen Karnevalszelt, Theaterbühne und Fernsehanstalt. Inszenatorisch ist das Stück so ausladend wie Trude Herrs Hüften. Auf der weißen Leinwand im Hintergrund werden Videos eingeblendet, auf der Bühne sind Tisch und Schreibmaschine die einzigen Konstanten. Ansonsten werden Requisiten immer wieder hinter der Leinwand hervorgeholt, um wenig später wieder zu verschwinden. Buss überzeugt mit seinem exzentrisch burlesken Auftreten und seinen gekonnten musikalischen Einlagen. Damit dieser nicht überdreht, stellt Kreyer sich selbst in verschiedenen Rollen daneben und erzeugt mit seiner stoischen Ruhe einen Ausgleich, der viel dazu beiträgt, der launigen Komödie einige Ausflüge in tiefsinnige und melancholische Gefilde zu erlauben. Das formidable Zusammenspiel der beiden lässt die Tempo- und Stimmungswechsel, den Spagat zwischen Slapstick und Ernsthaftigkeit authentisch und natürlich wirken.

Das liegt auch zu großen Stücken an der Herangehensweise des Duos, die sich Trude Herrs Leben mit großem Spieltrieb, aber auch mit der nötigen Demut nähern. Immer lustig, aber sich nie lustig machend.

Das Stück mit dem langen Titel hält die Balance aber nicht immer. Wenn Matthias Buss zu elektronischer Popmusik ein Trude-Herr-Comeback zelebrieren will, kippt das Stück in Richtung Klamauk. Auch der temporeiche Erzählstil mit seinen Sprüngen in Trudes Biografie und den schnellen Rollenwechseln Kreyers, machen es dem Zuschauer zeitweise schwer, zu folgen. Und doch bleibt vom Abend hauptsächlich Positives: die erfrischende, liebevolle Inszenierung, der charmante Humor und die ambivalenten Konfliktlinien, die stark auserzählt werden und in denen das kölsche Gemüt der Trude Herr geschildert wird – nicht nur als lokalpatriotisches Distinktionsanhängsel, sondern als Notwendigkeit. Als Schutzschild vor der Tragik des Lebens.

Charakteristischer als „Gustl“ kann man es nicht auf den Punkt bringen: „Es gibt den netten Witz über den bayerischen Holzschnitzer: Der bekam den Auftrag einen Jesus zu schnitzen. Seinem Kunden sah der Jesus aber nicht leidend genug aus. Also schnitzte und schnitzte der Bayer im Gesicht vom Jesus rum, bis er feststellen musste: ‚Zifix! Jetzt lacht er.‘“ Das ist kölsche Lebens- und Leidensart in R(h)einnatur.

Am Ende, zurück auf den Fidschi-Inseln, steht Trude einsam auf der Bühne. Verlassen vom Gustl, vergessen vom Publikum. Wieder taucht die Möwe auf. Diesmal gelingt der Annäherungsversuch. Möwe und Trude liegen sich in den Armen. In diesem absurden und rührenden Bild besteht vermutlich die einzige Chance einer Trude Herr auf Versöhnung mit der Welt. Mit Houllebecq gesprochen: die Möglichkeit einer Insel.

„Trude Herr oder: Es ist besser in der Sahara zu verdursten, als in Köln-Lindenthal auf die Rente zu warten“ | R: Sebastian Kreyer | 7., 28., 30.10. je 20 Uhr, 8.10. 15 Uhr, 29.10. 18 Uhr | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42

Florian Holler

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