Die Lausprecherbox möchte auf keinen Fall angefasst werden. Jede Berührung löst offenbar körperlichen Schmerz aus. Doch ein bisschen Nähe, das wäre nicht schlecht. Die sprechende Box auf dem weißen Tisch ist ein kapriziöses Ding und insistiert behutsam, bis eine Zuschauerin ihr endlich ein paar Streicheleinheiten gönnt. Wenn die Gruppe Subbotnik sich der Realität annimmt, dann nicht, um sie zu entlarven oder sie zu reenacten. Kornelius Heidebrecht, Martin Kloepfer und Oleg Zhukov sind eher an den Schlupflöchern, an den Verschiebungen interessiert. Angesichts all der mit Kopfhörern bewehrten Stadtbewohner hat sich das Trio für „Wenn ich was hören will, muss ich aufs Dach“ entschlossen, die akustische Banalität des Alltags zu verarbeiten. Vor allem musikalisch.
Ein Prediger kündigt das Ende der Zeiten an. Ein Mann/ eine Frau, spricht mit einer früheren Geliebten über die Gründe der Trennung und hat sich Heiratsanträge gesichert für die Zeit, wenn er/sie 30 wird. Kontrolleure in der U-Bahn versuchen vergeblich, einen Betrunkenen gegen seinen Willen („Kein Mensch heißt ‚Du da‘!“) zum Aussteigen zu bewegen – bis daraus ein A-capella-Chor zur kompletten Stilllegung der Bahn wird. Dazwischen, darüber und darunter wird virtuos Musik gemacht: Klavier, Xylophon, Tuba, Bassklarinette, Bass (Nico Brandenburg). Auf einem kleinen Podest vor einem goldenen Vorhang inszenieren Subbotnik ein empathisches Gleiten auf dem schmalen Grat zwischen Skurrilität und Ernst. Überall lauert die Melancholie: Eine Frau, die ihre Kreditkarte verloren hat, wird von ihrem Mann telefonisch gemaßregelt und flüchtet sich in eine imaginierte Schneelandschaft; während einer Kinovorstellung von „The Revenant“ in Thailand wendet sich Darsteller Leonardo DiCaprio plötzlich an die Zuschauer.
Subbotnik verschließen nicht die Ohren, sondern saugen die akustische Realität auf, arrangieren sie so um, dass sie ihre Magie preisgibt. Schließlich eint das Trio ein Hang zur performativen Nonchalance, die den Abend häufig eher zu einem Hörstück und Konzert macht als zu einem Schauspiel.
„Wenn ich was hören will, muss ich aufs Dach“ | R: Subbotnik | Studiobühne Köln | keine weiteren Termine
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„I am present but I don‘t exist“
West Off 2023 in Bonn, Köln und Düsseldorf – Prolog 11/23
„Ein interdisziplinäres großes Theaterhaus für die Stadt“
Die Dramaturgin Stawrula Panagiotaki übernimmt die Leitung der Studiobühne – Premiere 11/23
Metaebene der Clowns
„Clowns“ in der Studiobühne – Theater am Rhein 07/23
„Offen für experimentelle Formen und alles Neue“
Dietmar Kobboldt geht als Leiter der Studiobühne in den Ruhestand – Premiere 07/23
Perforierte Sprachgrenze
Die Studiobühne zeigt „Total“ – Theater am Rhein 05/23
Bedrohliche Fürsorge
„(S)Caring“ an der Studiobühne Köln – Auftritt 05/23
Spätes Licht
Studiobühne zeigt „Nachttarif“ – Theater am Rhein 04/23
Mit Ulrike Meinhof reden
„lieber wütend als depressed“ des Parasites Ensemble – Auftritt 10/22
„Ein Konzeptalbum, das sich mit Köln auseinandersetzt“
Daniel Schüßler über„Shit(t)y Vol.1.“ in der Tanzfaktur – Premiere 09/22
Wurzeln, Muskeln, queere Körper
„Mandragora“ in der Tanzfaktur – Auftritt 08/22
„Ab wann kippt ein freier Geist?“
Constantin Hochkeppel & Collaborators über „Tipping Points“ – Premiere 04/22
Sprungbrett für den Nachwuchs
Festival West Off an der Studiobühne – Prolog 03/22
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Im Höchsttempo
„Nora oder Ein Puppenhaus“ in Bonn – Theater am Rhein 03/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24
Falle der Manipulation
„Das politische Theater“ am OT – Theater am Rhein 02/24
Wiederholungsschleife
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/24
Radikaler Protest
„Ein Mensch ist keine Fackel“ in der Orangerie – Theater am Rhein 01/24
Emotionale Abivalenz
„Sohn meines Vaters“ in Köln – Theater am Rhein 01/24
Übung in Demokratie
„Fulldemo.cracy“ am Studio Trafique – Theater am Rhein 01/24
Welt ohne Männer
„Bum Bum Bang“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 12/23
Was ist hinter der Tür?
„Die Wellen der Nacht …“ in der Orangerie – Theater am Rhein 12/23
Weiter mit der Show
„Von Käfern und Menschen“ am TiB – Theater am Rhein 11/23
Ende der Zivilisation
„Eigentum“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 11/23