Während der 7. Oktober als ein schwarzer Tag in die europäische Geschichte eingehen könnte, an dem die polnische Justiz sich von Europa abwandte, brachte Jan Peszek beim Urbäng-Festival seine legendäre Soloshow zur Aufführung. „Scenario for a non existing but possible instrumental actor“, 1963 vom Avantgarde-Komponisten Bogusław Schaeffer (1929-2019) für den damals 19-Jährigen Peszek geschrieben und in vielen Ländern aufgeführt, dreht sich um Fragen des Künstlerdaseins.
Peszek bietet den Text dar, bestehend aus schonungslosen persönlichen Betrachtungen über die Kultur, und macht ihn zugleich zur Grundlage einer Performance, die sich ihm anverwandelt und sich künstlerisch mit den einzelnen Abschnitten auseinandersetzt. Dabei liefert Peszek ein handwerklich überzeugendes Beispiel dafür, wie auch Traktate oder Vorträge, wenn sie psychologische und gesellschaftliche Wahrheiten berühren, einen Weg auf die Theaterbühne und somit zum kulturell interessierten Publikum finden können. Schaeffer ging von einem vorprogrammierten Scheitern des Künstlers aus, in allem, was er tut, und stellt die Möglichkeit künstlerischer Unabhängigkeit infrage. „Die Kunst lebt zunehmend von Almosen“, heißt es einmal, „und die Mehrzahl der Künstler geht – ohne es zu merken – betteln.“
EIn Glaubensbekenntnis
Peszek lässt den Künstler, der sich der Bedingtheiten seiner Existenz und der Eitelkeit seines Strebens nicht bewusst ist, als eine tragische Witzfigur in Erscheinung treten, die sich an die gesellschaftlichen Bedingungen und Erwartungen anpassen muss. Er lässt das Bühnenbild kräftig leiden mit seinem Ringen um Erfolg und Anerkennung, mit einer Spiel- und Experimentierfreude, die doch zu nichts führt, was Bestand hätte. Drei Tische, Stühle, allerlei Utensilien, Behälter, Luftballons, ein Cello und eine Leiter, deren Gipfel er nie erreicht, all das hilft ihm letztendlich wenig. Wenn doch nur die Öffentlichkeit bereit wäre für Kunst, für zeitgenössische Kunst, die unter den jetzigen Bedingungen entsteht und sich nicht anbiedert. Die Epoche der Künstler sei bald vorbei.
Peszeks Performance macht nervös, denn er ist ein Getriebener, der zwischen Hast und Erschöpfung pendelt, zugleich macht Freude, wie er sich hergibt für Text und Publikum. Das Konzept ist überzeugend und man versteht, warum Peszek ein gern gesehener Gast auf Festivals ist: Er hat den jüngeren Künstlergenerationen etwas zu sagen. Es macht nichts, dass das alles etwas angestaubt wirkt; hier wird eine Brücke geschlagen zu den 60er Jahren und zur Uraufführung 1973, zu einem Land hinter dem damaligen Eisernen Vorhang. Aber die Probleme von Künstlern bleiben die gleichen. Peszek, von dem gesagt wird, das angeblich über 2000 Mal aufgeführte Werk sei sein „Glaubensbekenntnis“ und er akzeptiere in der Kunst keine Marktmechanismen, ist in der Zwischenzeit ein bekannter Theaterschauspieler geworden und stand für Filmregisseure wie Andrzej Wajda vor der Kamera.
Den Zuschauern wurde eine achtseitige Übersetzung des Textes ausgeteilt, zentrale Aussagen erschienen aber auch als Obertitel. Es war dann nicht immer einfach, Peszeks vielgestaltige Aktionen zu entschlüsseln, manches blieb, wie zu erwarten war, ein Rätsel.
Nackt im Theater
Eine weitere Performance an diesem Abend kam von Studenten der HfS Ernst Busch in Berlin: „Haut – My Body is a Stage“. Nach kurzer Einleitung aus dem Lautsprecher (wir befinden uns in einem Theater) sehen wir zwei junge Damen (Sarah Grünig, Clara Wolfram) auf der Bühne, die sich recht bald über ihre Nacktheit in der Öffentlichkeit erschrecken. Später kommt ein junger Mann (Jakob Schmidt) hinzu, der seinen arroganten Vortrag an die beiden in dem Moment abbricht, als er merkt, ein Frauenkleid zu tragen. Und bald ebenfalls gar nichts mehr – die Frauen fordern es heraus. Es geht um Körper auf der Bühne, aber auch um Körperbilder und Schönheitsideale unter medialer Dauerberieselung und die Frage nach der Verfügungsgewalt. Wem gehört der Körper: dem Regisseur oder der Schauspielerin?
Die Schauspieler bewegen sich in fluide fortgesponnenen Situationen von anfänglicher Scham hin zur Akzeptanz des Körpers und seiner Zurschaustellung in einer persönlichen Modenschau. In etwa 30 Minuten werden humorvoll viele Fragen gestreift; in der zweiten Hälfte kommt eine Kamera ins Spiel, dann wird ein wild zusammengeschnittenes Video angeschaut mit parodistischen Bruchstücken aus dem aktuellen Jahrmarkt der Eitelkeiten von YouTube-Schönheitstipps bis zum Wertekosmos Heidi Klums – Einflüsse, denen sich die drei naiven Schauspieler nicht entziehen können. Auch hier gibt es großen Applaus, der zum Teil wohl dem Mut der Schauspieler gilt, die mit ihrem Können ihrer berühmten Schauspielschule alle Ehre machen. In einem abschließenden Gespräch gegen 22 Uhr trafen die Künstler des Tages aufeinander.
Das dreitägige Urbäng-Festival für performative Künste, das neben Performances und Konzerten auch Diskussionen und Begegnungen beinhaltete, hat sich einen festen Platz in der Kölner Szene erobert und war in diesem Jahr sehr gut besucht. Es galten die verordneten 3G-Hygieneschutzregeln mit entsprechenden Nachweisen und Maskenpflicht im voll (und recht eng) besetzten Orangerie-Theater. Im Garten war wieder ein Dschungel aufgebaut, auch zum Aufenthalt bei den etwa einstündigen Umbaupausen, mit Catering und Getränken, live aufgelegter Hintergrundmusik und Sitzbereichen mit Feuerstellen. Mitglieder des künstlerischen Leitungsteams waren vor Ort und moderierten ein wenig durch den Abend.
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