„Mein Wunsch ist, Menschen durch das Tanzen in einem Raum zusammenzubringen – als soziale Erfahrung, bei der Tanz zu einem Mittel wird, um Kollektivität zu ermöglichen“. So beschreibt die berühmte Choreographin und Tänzerin Mette Ingvartsen die Idee zu ihrem Solo „The Dancing Public“. Der Reiz des Abends liegt gerade darin, dass sich zeitgenössische Selbstbezogenheit und Sehnsucht nach Ekstase gegenseitig bedingen. Damit eröffnet das kollektiv kuratierte Festival Urbäng! in diesem Jahr seinen spannenden Vorstellungsreigen.
Stand im vergangenen Jahr der Krieg in der Ukraine im Zentrum, werden diesmal viele Produktionen, so Dramaturgin Rosi Ulrich, „aus einem anderen, einem feministischen oder auch einem queeren Blickwinkel erzählt“. So beschäftigt sich der Choreograph und Performer Nils Amadeus Lange in seiner Performance „Hildegard von Bingen – das Verbrennen als Kulturform“ mit der berühmten mittelalterlichen Äbtissin. In ihren Texten zur erotischen Glaubensekstase, ihrer Musik sowie ihrer pflanzenkundlichen Forschung entdeckt er eine Vorform queerer Handlungsweisen. Eine Traditionsbildung, die übrigens auch Kim de L’Horizon mit seinem Bezug zu Hexenwissen vornimmt. Und die Ekstasen wiederum stellen, so Rosi Ulrich, einen Bezug zu Mette Ingvartsen und diesem offensichtlich virulenten Bedürfnis her.
Ob das mönchische Leben männlicher Incels, die sich in ihrem – unfreiwillig – sexlosen Leben in Erniedrigungs- und Mordphantasien gegenüber Frauen hineinsteigern, selbst gewalt-ekstatische Züge trägt, bleibt dahingestellt. DasKünstlerinnenkollektiv Pintozor Prod. schickt in seiner Performance „Kit de survie en territoire masculiniste“ das Publikum durch die Kölner Südstadt. Es folgt dabei einer Fußgängerin und lauscht über Kopfhörer der Erzählung eines Incels, die gekreuzt wird mit dem Versuch dieser Frau, diese gewaltbereite Community zu verstehen. Aus weiblicher Perspektive allerdings, so Rosi Ulrich, sei dieses Verstehenwollen unmöglich. Flankierend dazu hat das Kollektiv Citizen Kane, die auch mit ihrem queerfeministischen Mode-Salon „House von Crinoline“ zu Gast ist, eine Audio-Installation eingerichtet: eine Doku von 25 Femiziden, also Morden, die von Männern an Frauen begangen werden, gerade weil sie Frauen sind. Ein herausforderndes Programm.
Urbäng! 2023 | 13. - 16.9. | Orangerie Theater | 0221 952 27 08
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