Das surreale Werk des Dirigenten und Komponisten Peter Ronnefeld zeigt die Oper Bonn in ihrer Reihe Fokus ‘33, die übersehene, vergessene und unterdrückte Opern vorstellt.
choices: Herr Mayr, der 1935 in Dresden geborene und schon mit 30 Jahren in Kiel verstorbene Ronnefeld ist heute völlig unbekannt. Wie ist die Oper Bonn auf seine 1961 in Düsseldorf uraufgeführte Oper „Die Ameise“ gestoßen?
Daniel Johannes Mayr: Die Wiederaufführung der „Ameise“ nach mehr als 50 Jahren gehört zu unserer Reihe Fokus ‘33 und ist dem leider vor zwei Jahren verstorbenen Operndirektor Andreas K.W. Meyer zu verdanken. Ronnefeld war von 1961 bis 1963 Chefdirigent an der Oper Bonn. Das mag ein Anstoß gewesen sein, denn er hat hier „Die Ameise“ komponiert. In unserer Fokus-Reihe geht es auch um die Gründe für das Verschwinden von Werken. „Die Ameise“ ist meiner Meinung nach ein völlig zu Unrecht vergessenes Stück und ihr Komponist ebenso. Wir setzen solche Stücke auf den Spielplan, damit sich das Publikum fragen kann, warum ein Werk verschwand und warum es heute wieder gespielt werden sollte. Ich bin überzeugt, die „Ameise“ ist jeder Bemühung wert und ich hoffe, dass unsere Aufführung auch andere Theater überzeugt, es mit Ronnefelds Oper zu versuchen.
„Vergessen“ ist stets ambivalent: Vieles ist zu Recht ins Archiv gewandert, aber Entdeckungen bieten auch überraschend aktuelle Bezüge. Was lohnt sich für Sie als Dirigenten an diesem Werk?
Ich kannte weder Stück noch Komponist, als ich begann, mich mit „Die Ameise“ zu beschäftigen. Ich war fasziniert vom kurzen, intensiven Leben Ronnefelds und beim Anhören einer Aufnahme der Oper richtig geflasht. Die Geschichte selbst ist skurril, geradezu kafkaesk. Ein Gesangslehrer wird verdächtigt, seine Studentin Formica – das ist lateinisch für „Ameise“ – umgebracht zu haben. Im Gefängnis hält er eine Ameise in einem Kästchen und versucht, ihr das Singen beizubringen: Eine surreale Farce mit einem tragischen Finale mit Zügen einer Komödie, aber auch ernsten, tiefen Momenten. Aber Szene für Szene, Charakter für Charakter sind musikalisch wunderbar gezeichnet.Für mich ist Ronnefeld ein Meister in der Behandlung des Orchesters. Alles ist klug und durchsichtig komponiert. Die Personen werden originell charakterisiert: Professor Mezzacroce zum Beispiel, ein Kollege des Gesangslehrers Salvatore, wird nur von Tuba und Kastagnetten begleitet. Formica, die Sängerin, darf aberwitzige Koloraturen singen. Zum Glück haben wir mit Nicole Wacker eine Sängerin, die das mühelos bewältigt. Die Arie, die sie singt, ist hinter der Bühne nur mit Blechbläsern und Harfe begleitet. Ronnefeld hat viele solcher Stellen kammermusikalisch und mit verschiedenen Klangfarben gestaltet. Das klingt neu und macht die 75 Minuten Musik der Oper kurzweilig und abwechslungsreich.
Ronnefeld ist mit erst 30 Jahren an Krebs gestorben und hat nur etwa 20 Werke hinterlassen, darunter „Die Ameise“ als sein Hauptwerk. Welche Persönlichkeit tritt Ihnen im Werk entgegen?
Auf jeden Fall ein sehr intelligenter Mensch – das sieht man in der klugen Anlage der Partitur. Man spürt, dass er mit einem Konzept an die Arbeit ging. Lob gibt es auch von den Sängern. Ich höre auf den Proben immer wieder: „Der hat Ahnung von Stimmen gehabt“. Die Partien sind zwar schwer zu lernen, vor allem wegen der Rhythmen, aber gut zu singen. Ronnefeld war ein Mensch mit viel Humor. Von ihm wird berichtet, dass er lebenslustig war und immer einen Witz auf den Lippen hatte. Aber ich höre aus der Musik auch, dass er gelitten hat. Die Musik tut manchmal weh. Nicht, weil sie atonal ist, sondern weil da Schmerz drinsteckt. Wie Ronnefeld sich mir zeigt, finde ich ihn sympathisch und glaube, ich hätte mich gut mit ihm verstanden.
Hat Ronnefeld nur sehr gut gemachte Musik geschrieben oder merkt man ihr einen Esprit an, der darüber hinausgeht? Immerhin haben Größen wie Karl Böhm oder Nikolaus Harnoncourt von ihm geschwärmt.
Ich studiere die Partitur und entdecke immer wieder neue Details, die man beim ersten Lesen nicht wahrnimmt. Man erkennt einen klaren Plan auch in der Art, wie Ronnefeld etwas wiederholt oder variiert. Wenn er hier ein Motiv verändert, dort eine Phrase anders rhythmisiert oder die Instrumentierung verändert, erkennt man: Das ist kein Zufall. Das ist alles genau so gewollt. Ronnefeld verbindet die Musik geschickt mit den Charakteren, der Dramaturgie und dem Inhalt der Geschichte. Man spürt den Theatermenschen. Das kann nicht jeder Komponist.
Wenn Sie vergleichen: Was kommt dieser Musik aus dem Kanon, den wir kennen, am nächsten? Hört man, dass Ronnefeld bei Boris Blacher und bei Olivier Messiaen in Paris studiert hat?
Boris Blacher hat – darüber sprach auch Ronnefelds Mitstudent Aribert Reimann – seine Studenten so unterrichtet, dass jeder zu sich selbst gefunden hat. Wenn man diese Partitur aufschlägt oder die Musik hört, denkt man: Das ist Ronnefelds ganz eigene Musiksprache. Seine erste und einzige große Oper ist ein gelungener Wurf!
Die Ameise | 14. (P), 27.12., 10., 15., 18.1., 1., 6.2. | Oper Bonn | 0228 77 80 08
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