Nicht reden, sondern machen! Das ist das Motto von „Urbäng!“, dem Festival, das dem Knall der Zeitenwende auf die Sprünge helfen will. Die Freihandelszone mit ihrem Verbund von Theater-, Tanz- und Performance-Gruppen sucht sich herausragende Produktionen aus dem internationalen Ausland, um jeden Herbst die hiesige Szene aufzumischen. Wie geht man miteinander um, was stimmt nicht in einer Welt, in der so viel kommuniziert wird wie nie zuvor und die Gesellschaft doch nach allen Seiten auseinander zu brechen droht. Gleich zur Eröffnung am 9. Oktober geht das Nowy Teatr aus Warschau mit der Produktion „Jeden Gast“ aufs Ganze. Wie verständigt man sich, wenn einem die gesprochene Sprache fehlt? Gehörlose stehen auf der Bühne und laden zu einer Reise in ihre Sprachwelt ein. Die besitzt zwar keinen Klang, dafür aber subtile Zwischentöne, denn hier wird mit dem Körper gesprochen, seinen Rhythmen und Gesten, die unerwartete Möglichkeiten eröffnen.
Mit dem häufigen Blick auf digitale Geräte verlieren wir die Fähigkeit zur Empathie. Sie stellt sich allein über den Blick in das Gesicht eines anderen Menschen her. Das Theater wird hier zum Erlebnisraum. Auch deshalb erweist sich die Entscheidung, das diesjährige Festival in der Orangerie des Volksgartens zu veranstalten, als kluger Schachzug, da das Areal den Produktionen mit starkem Performance-Charakter zugutekommt. Aus Belgien konnte man Ultima Vez gewinnen. Die Truppe des legendären Wim Vandekeybus kommt mit „Invited“, einem Tanzstück für Kinder und Erwachsene, nach Köln. Das Publikum erobert sich einen Lindwurm und weiß nicht, wer in seinen Reihen zu den Performern des Ensembles gehört. Eine Performance, die alle Generationen miteinander in Verbindung bringt, denn Regisseur Seppe Baeyens zeigt, wie Publikum und Schauspieler gemeinsam eine Choreographie entstehen lassen.
Lebensgroße Puppen, die vom Ensemble des Ukrainers Sashko Brama bewegt werden, erzählen in „Fall on Pluto“ davon, was es heißt auf dem Planet des Alters zu leben. Wie entfremdet man sich von der Gemeinschaft, wenn die eigenen Möglichkeiten schwinden? Das Alter wird als herbe Grenzerfahrung gezeigt, die nur mit viel Humor zu bewältigen ist. Dass sich das Puppenspiel so nah an der Realität bewegt, ist den umfangreiche Recherchen geschuldet, die dem Projekt voraus gingen. Mit „Female Gaze?“ nimmt das Festival eine Diskussion auf, die im letzten Jahr nicht erschöpfend geführt werden konnte. Gibt es einen weiblichen Blick, und wie würde er aussehen? Mit der Infragestellung männlicher Verhaltensmuster steht die Erforschung oder Definition weiblicher Sichtweisen an. Das Festival ruft Künstlerinnen auf, sich an diesen Themen zu beteiligen. Außerdem wird es wieder den „White Cube“ geben, einen begehbaren Würfel, der im Stadtgebiet aufgestellt wird und die Passanten dazu einlädt, ein paar Minuten ohne Smartphone auszukommen und zu erleben, was dann passiert.
Urbäng! Festival für performative Künste in Köln | 9. - 12.10. | Orangerie-Theater | www.urbäng.de
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