Mit ihrem Stück hat Yamina Reza einen Nerv getroffen: Schon zwei Jahre nach der Uraufführung im Jahr 2006 zählt „Der Gott des Gemetzels“ um einen ausartenden Konflikt zwischen zwei Elternpaaren zu den erfolgreichsten und meistgespielten Stücken des 21. Jahrhunderts, und seitdem hat es unzählige weitere Inszenierungen an wahrscheinlich allen wichtigen Bühnen erlebt. Am Theater Bonn stand das Kammerspiel zuletzt 2008 auf dem Spielplan, jetzt greift Hausregisseur Simon Solberg den Stoff erneut auf. Immerhin sei der Text so aktuell wie eh und je, betont er: „Wenn ich mitbekomme, was gerade in der ,Schul-Cloud‘ meiner Tochter passiert und wie dort Diskussionen geführt werden, befürchte ich, dass Yasmina Reza gar nicht so weit von der Realität entfernt ist. Und letztlich ist der Umgang der vier Figuren miteinander emblematisch für die Diskussionen, die wir auf nationaler Ebene führen. Das finde ich erschreckend – für mich hat das etwas von einer gesellschaftlichen Wurzelbehandlung.“
Tatsächlich verdeckt der zunächst höfliche Umgang der Eltern nur oberflächlich die tiefen Gräben zwischen ihnen. Dabei geht es zunächst gar nicht um sie, sondern um ihre Söhne: In der Schule hat der elfjährige Ferdinand Reille dem gleichaltrigen Bruno Houillé mit einem Stock zwei Zähne ausgeschlagen, sodass sich jetzt seine Eltern Annette und Alain bei den Houillés entschuldigen müssen. Doch mit der Zeit verschärft sich der Ton. „Innerhalb kürzester Zeit geht es nur noch um die eigenen Belange und nicht mehr um die der Kinder“, erklärt Solberg. „Dabei kommen die Eltern immer wieder an einen Punkt, in dem sie aussteigen und sich friedlich einigen könnten. Nur nehmen sie die Gelegenheiten nie wahr.“ Richtig verfahren wird es, als sich herausstellt, dass Anwalt Alain die schwerwiegenden Nebenwirkungen eines Medikaments vertuschen will, das Michel Houillés Mutter einnimmt. Michel wiederum hat heimlich den Hamster seiner Tochter „entsorgt“, was sich nicht mit ihrem angeblich gewaltfreien Wesen in Einklang bringen lässt. Für Solberg ist das die Metapher, auf der er seine Inszenierung aufbauen will. „Der Hamster rüttelt an der Schneekugel der heilen Welt“, sagt er – und die Familien rennen beide sehenden Auges in die Katastrophe.
Der Gott des Gemetzels | 23.1. (P), 19.2., 7., 27.3., 22.4. je 19.30 Uhr, 1.2. 18 Uhr | Schauspiel Bad Godesberg | 0228 77 80 22
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