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„W.H.A.M.“
Foto: Ingo Solms

Die Gebär-Übermutter und der Philofeminist

29. Januar 2020

„W.H.A.M.“ von c.t.201 an der Studiobühne – Auftritt 02/20

Die Anzugjacken sind verdammt groß geraten. Sie schlottern Sibel Polat, Dorothea Förtsch und Tim Mrosek um die schmalen antirassistischen Oberkörper. Der titelgebende „W.H.A.M.“, der weiße hetereosexuelle alte Mann, ist offenbar eine brachiale Nummer. Mit ein bisschen Slim-fit-Inklusion ist es da nicht getan. Zudem hat er in einem Glühweintopf, der auf einem Sockel steht, ein paar üble Sprüche hinterlassen, die im Laufe des Abends von dem Trio widerwillig verlesen werden – als permanentes Salz in der Wunde des Antirassismus.

Die Gruppe c.t.201 nimmt sich das Phänomen des WHAM vor, der mit der „Check mal deine Privilegien“-Aufforderung auf seinen mangelnden Diskriminierungsstatus verwiesen wird, wie der italienische Philosoph Luca di Blasi 2013 schrieb: „WHAM sind also jene, die lange Zeit von schmerzhaften Markierungen weitgehend verschont geblieben sind, oder, negativ formuliert, die keinen nennenswerten Diskriminierungsstatus für sich beanspruchen können.“ So verbiestert allerdings nähert sich die Gruppe c.t.201 dem Thema gar nicht. Die drei „awareness avengers“ kneifen an diesem Abend vor keinem Widerspruch und suhlen sich geradezu in Dialektik. Aus der 80er-Jahre Schwulen-Hymne „YMCA“ wird eine „WHAM“-Hymne, was an bösartiger Doppelbödigkeit kaum zu überbieten ist. Man stürzt sich in eine wilde Entschuldigungs-Orgie für die Nutzung von Privilegien oder Machtstrukturen. Die Selbstgeißelung für den Genuss dieser Privilegien schlägt allerdings fortwährend in hochkomischen Sarkasmus um, gerade weil der Abend mit der Form des privaten Geständnisses irgendwo zwischen Gerichtstribunal und Gruppentherapie spielt. Im Rausch philofeministischer Übererfüllung stürzt sich Tim Mrosek in das Geständnis, dass er gern als Frau wiedergeboren werden möchte.

Richtig bösartig gerät dann die „Is doch nur Spaß“-Etüde: Sibel Polat kocht mit großer Verve den Rassismus des Karnevals auf, der unter der Flagge der Verbrüderung und Kumpanei segelt. Dorothea Förtsch wiederum inszeniert sich als unfehlbare Gebär-Übermutter: Sie zelebriert ein klitorisches Abendmahl mit Mutterkuchen-Oblate, das wie die Gründungsakte eines katholischen Feminismus wirkt. So komisch das mitunter ist, die Verweise auf die frauenfeindlichen und rassistischen Strukturen vom Großsystem Gesellschaft bis zu konkreten Arbeitsverhältnissen bleiben dem Betrachter immer mal wieder im Halse stecken. Dass das Theater dabei auch sein Fett abbekommt, ist eine Selbstverständlichkeit. Die Steilvorlage der veralteten hierarchischen Verhältnisse konnte sich das Trio nicht entgehen lassen. Umso mehr als auch das freie Theater nicht gerade ein Hort des Gutmenschen ist. Dass dabei gelegentlich auch immer mal wieder Klischees reproduziert werden, bleibt nicht ganz aus. Am Ende driftet der Abend dann ins Moralische, wenn mit dem Satz „Wir akzeptieren nicht mehr…“ eine „awareness“-Liste offeriert wird und vor allem der Schutz der Kinder gefordert wird. Sollte man nicht verpassen.

„W.H.A.M.“ | R: c.t.201 | Studiobühne Köln | Herbst 2020 | 0221 470 45 13

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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