Eine in die Jahre gekommene Mietshaus-Location musste es nach dem Inhalt des Schwanks „Tratsch im Treppenhaus“ ja nun sein, fast eine Bruchbude mit schadhaftem Putz und freiliegenden alten Stromzählern. Auch das Stück selbst von Jens Exler ist in die selbigen gekommen, nach der Uraufführung von 1960 in Flensburg wurde es vom Hamburger Ohnsorgtheater übernommen; die Fernsehübertragungen haben die Komödie um die skurrilen Bewohner bundesweit bekannt gemacht. Ebenso die intrigante Schwätzerin Meta Bolt, Paraderolle der 2010 verstorbenen Volksschauspielerin Heidi Kabel zusammen mit dem unvergessenen Henry Vahl.
Und in die Jahre gekommen ist auch die Freundschaft von Heidi Mahler, Tochter der Kabel, mit Peter Millowitsch, der das Theater nach dem Tode seines über Köln hinaus bekannten Vaters Willi übernommen hatte. Beide Eltern waren lebenslang dicke Freunde, nur war Peter eher glücklos nach der Übernahme. Denn Volkstheater war nicht mehr angesagt, und der WDR strich die Übertragungen; so brach die wirtschaftliche Basis weg. Am 25. März 2018 fiel der letzte Vorhang, der alte Theatergeist zog aus. Aber nur vorübergehend, denn das Haus wurde von einer Betreibergesellschaft gründlich renoviert, in Volksbühne am Rudolfplatz umbenannt und seither erfolgreich an Veranstalter vermietet.
So auch jetzt mit dem Uralt-Klassiker und mit dem alten Dream-Team Peter und Heidi mit immerhin 50 Vorstellungen bis zum 17. Februar, szenisch erfrischend aufgepeppt. Michael Koch ist Regisseur und Intendant des Ohnsorg-Theaters, Ehemann von Heidi Mahler und steht als Autohausbesitzer Seefeld „von Kölner Barbarossaplatz“ selbst auf der Bühne. Peter dazu im privaten Gespräch auf der Premierenfeier: „Ich spiele jetzt viel öfters Theater, die Abschiedstränen sind längst getrocknet.“
Die Story ist eh kompliziert: Seefelds selbstbewusste Tochter Heike (Eileen Weidel) ist zu Hause unter Protest ausgezogen und als Untermieterin bei Hanne Knoop (Verena Peters), die im Autohaus putzt, untergekommen. Allerdings „illegal“, und da das laut Mietvertrag nicht erlaubt ist, will sie der Hausbesitzer und Schlachtermeister Tramsen (Wolfgang Sommer) herauswerfen, unterliegt allerdings ihrem Charme. Gegenüber wohnt Steuerinspektor a.D. Brummer, ein Beamter, der sich „für die Treppe“ zu fein ist; Peter Millowitsch erhält einen kräftigen Begrüßungsapplaus. Bei ihm zieht sein Neffe ein (Fabian Goedecke), der schnell dem Charme seiner jungen Nachbarin verfällt. Das hielte sich alles im Rahmen, wenn da nicht Meta Bolt wäre, ein Klatschweib erster Güte – die ebenfalls herzlich begrüßt wird – Heidi Mahler mit Kopftuch und Kittelschürze fast ein Abbild ihrer Mutter. Meta muss alles erfahren, stiftet Unfrieden, lauscht sogar als Herrscherin über das Treppenhaus am Briefschlitz. Beteuert aber ständig: „Ich will ja nichts gesagt haben.“
Heike verdreht auch Tramsen und Brummer den Kopf, der Schlachter versucht mit einer überdimensionalen Fleischwurst bei ihr zu punkten, Brummer schenkt ihr eine Freikarte für den Ball des Kaninchenzüchtervereins. Die hat sie aber schon von Tramsen, ist jedoch selbst mit Fabian verabredet. So gehen die Karten an die beiden Damen und bringen zusätzliche Verwirrung. Aber die Paare finden sich, nur Meta geht leer aus.
Die Sorgen des Rezensenten, ein abgedroschenes Stück aushalten zu müssen, war ganz schnell verflogen. Eine straffe Inszenierung mit gutem Timing, mit vielen feinsinnigen Regiegags und Sprüchen erzeugen immer wieder Lachsalven, etwa wenn sich der verliebte Tramsen die nicht mehr vorhandenen Haare ordnet oder den Ort „Quadrath-Ichendorf“ zitiert. Dazu eine köstliche Mischung auch aus moderatem Hamburger Platt und dezentem Kölsch, mit lokalen Bezügen und falschen Fremdwörtern. Wenn sich Meta etwa aufregt über uneheliche Beziehungen mit dem Vergleich zu „Soda und Gomorra“.
Das Publikum hatte sichtlich Spaß an der Story und an den einheitlich hervorragenden Akteuren, denen alle die Palme des Abends zusteht. Auf diesem Level kann ein Volkstheater, das durch die Medien schon arg gebeutelt wird, sicher überleben.
„Tratsch im Treppenhaus“ | R: Michael Koch | bis 17.2., Fr-So | Volksbühne am Rudolfplatz | www.volksbuehne-rudolfplatz.de
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