Mitte Dezember verkündete Peter Millowitsch das Ende des traditionsreichen Kölner Volkstheaters für Mitte 2019 – nun fällt der letzte Vorhang für die im Jahre 1792 erstmals erwähnte Theaterdynastie bereits am 25. März 2018: „Ich zahle nur noch drauf ... Es geht einfach nicht mehr. Ich habe beschlossen, mit Ende dieser Spielzeit an der Aachener Straße Schluss zu machen“, sagte Peter Millowitsch jüngst gegenüber dem Kölner Express.
Von Außen ahnte man schon länger, dass ein Ende naht, spätestens seitdem der WDR verkündete, keine Übertragungen der Millowitsch-Stücke mehr realisieren und sich finanziell somit auch nicht mehr an den Theaterproduktionen beteiligen zu wollen. Darüber hinaus hat sich das Freizeitverhalten in den letzten 15 Jahren radikal verändert: „Soaps“, „Comedy“ oder „Serien auf Online-Videoportalen“ zielen auf die Unterhaltungsbedürfnisse eines „Volkes“ ab, das seinem einstmals geliebten Mundart-Theater zunehmend fernblieb. Dem aussterbenden Publikum „von früher“ wuchs kein neues nach. So ist der Niedergang des Traditionstheaters insgesamt auch ein natürlicher – kein neues Publikum, kein Nachfolger, keine Fernsehübertragungen mehr in deutsche Wohnzimmer. Peter Millowitsch wusste – wie er selber sagt – bereits seit 40 Jahren, dass er der „letzte Millowitsch-Mohikaner“ sein werde, der das Licht ausmachen muss. Abschiedsschmerz für die Hassliebe inbegriffen.
„Niemals geht man so ganz“, sang die unvergessliche Trude Herr kurz vor ihrem Tod 1991, auch sie hatte ab 1947 Rollen am Millowitsch Theater gespielt. Und so wird es in der Spielzeit 2018/19 zwar nicht mehr die geplante Wiederaufnahme des Erfolgsstückes „Der Etappenhase“ seines Vaters Willy aus dem Jahr 1953 geben, Peter Millowitsch wird aber im Klassiker „Tratsch im Treppenhaus“ noch einmal zusammen mit Heidi Mahler als Gast auf der Bühne in der Aachener Straße 5 stehen. Der Name „Millowitsch“ wird von der Fassade entfernt, das Theater als Volksbühne am Rudolfplatz als Gastspieltheater durch die Freie Volksbühne Köln, der das Haus in der Aachener Straße gehört, weitergeführt. Das ist die gute Nachricht: Der Ort bleibt für Veranstaltungen erhalten.
Generell ist Theater eine schnell vergängliche Kunst... Theater ist die Kunst des Augenblicks... Theater basiert auf der augenblicklichen Verabredung zwischen Darsteller und Zuschauer... an einem Ort, wo aktuelle gesellschaftspolitische oder universell menschliche Fragen auf komödiantische, satirische, dramatische oder tragische Art und Weise verhandelt werden... an einem Ort, wo man sich eine Zeit lang gemeinsam versammelt... ein Ort, der in Zeiten von Social Media und Digitalisierung, Billigflügen, Großstadtevents usw. immer anachronistischer zu werden scheint. Und genau das ist seine Überlebensgarantie, wenn das Theater und seine Macher die Kraft und das Bewusstsein haben, sich immer wieder neu zu Häuten, sich mit jeder neuen Produktion auch ein Stück weit neu zu erfinden und an den Fragen einer jeweiligen Besuchergeneration „dran“ zu sein. Diese Kraft hat Peter Millowitsch – aus verständlichen Gründen – mangels personeller und finanzieller Perspektiven, um die er sich hätte viel früher bemühen müssen, nicht mehr besessen. Adieu für eine kölsche Institution!
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