Ein Berg in der Ferne, davor Steinwüste, darin Stühle, darauf, dahinter, darunter Menschen – vielmehr das Wesen der Rastlosigkeit, verurteilt zum Warten auf ein rasches Leben und einen langen Tod. Zwischen Stillstand und Aufbruch der gleichgetrimmten Individuen komponiert eine Alleinunterhalterin an analogen wie digitalen Instrumenten die Absurditäten des Daseins. Die Klänge verhöhnen einen allgegenwärtigen, jedoch unsichtbaren Sisyphos und dessen treuen Weggefährten – den Felsen, der vom Gipfel träumt und doch nie ankommt. Aus dem Nichts erschallt repetitiv der Appell zum „Sitzen“, „Atmen“, „Liegenbleiben“ und „Wiederholen“, während eine Kamera per Videoscreen eine wartende Frau fixiert. Wieder einmal erweist sich die raumbietende Location der Orangerie als idealer Nährboden für die Realisierung experimenteller Stücke. So fügen sich multiple Darstellungsformen wie Tanz, Schauspiel, Live-Musik und Installation in ein homogenes Gesamtwerk, das über den Bühnenrand hinausstrahlt.
Als „tanztheatrale Inszenierung der langen Weile“ des Kollektivs „Sonder:Sammlung:3“ angekündigt, übertrifft die 60-minütige Produktion unter künstlerischer Leitung von Theresa Hupp das gesteckte Ziel bei jedoch weitem. In einer emotional brachialen Performance erzählen die Regisseurin und ihr Bühnen-Ensemble um Stefanie Schwimmbeck, Adrián Castelló (Tanz) sowie Oxana Omelchuck (Musik) ein ganzes Leben wortlos. Eine gleichsam improvisierte wie strukturierte Choreographie der Unruhe und Kontemplation entlässt den stillsitzenden Zuschauer am Ende der Aufführung atemlos, verstrickt und gefangen im brüchigen Mobiliar temporärer Sicherheiten oder erdachter Bestimmungen. In Anbetracht jener mühe- und schmerzvollen Windungen auf der Bühne dehnen sich persönliche Ängste wie Hoffnungen als spürbare Reflexion in Bezug auf das eigene Schicksal. Wenn sich im finalen Taumeln der Körper eine schwebende Sehnsucht über die karge Ödnis erhebt, halten schließlich alle Uhren an. Zeit besiegt die Ruhelosigkeit. Das Licht geht aus. Berg, Wüste und die Ferne müssen nicht bezwungen werden. Der Mensch lächelt.
to those who wait | R.: Theresa Hupp | weitere Termine in Planung | Orangerie Theater | 0221 952 27 09
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