Es ist 21 Jahre her, da führten Paul J. Crutzen und Eugene F. Stoermer den Begriff des „Anthropozäns“ in die Umwelt-Debatten ein. Seither ist er unentbehrlich geworden, um die die untrennbare Verflechtung von Menschheit und Erdsystem zu beschreiben. In ihrer neuen Produktion blendet die Theatergruppe Coop05 um Regisseur und Schauspieler Gerhard Roiss zurück ins Jahr 1934. Damals zog Richard E. Byrd, US-Admiral und Naturforscher, für fünf Monate alleine auf eine Messstation in der Antarktis. Vordergründig ging es um meteorologische Daten, im Hintergrund stand der Run um Bodenschätze und militärische Interessen.
Byrd beschrieb seine Erlebnisse später in seinen autobiographischen Aufzeichnungen „Alone“. „Das Buch hat mich jahrelang nicht mehr losgelassen“, erzählt Gerhard Roiss. Grund sei die „unfassbar extreme Situation“, in die Byrd geriet. Eigentlich hatte der Forscher auf einen temporären Rückzug gehofft, nahm Bücher und Schallplatten mit – was sich als lebensbedrohlicher Trugschluss herausstellte. Byrd hauste, erzählt Roiss, in einem kleinen Container, umgeben von Generatoren, in weitgehender Dunkelheit, bei Temperaturen zwischen 23 bis 40 Grad unter Null. Mehrere Male entging er nur knapp dem Tod, erlebte aber auch Naturereignisse, die Gerard Roiss als „Erleuchtungsmomente“ bezeichnet.
Für Roiss bilden Byrds Beschreibungen eine Schablone, mit der er seine eigene „Ratlosigkeit angesichts der Entwicklungen“ darstellen könne: „In der Beschreibung der extremen Lebensbedingungen bekommt man einen Draufblick auf das normale Leben“. Dass Byrds Erfahrungen nicht zuletzt auch eine Parallele zum Lockdown der Corona-Pandemie zulassen, ist offensichtlich. Das eigene Ausgeliefertsein und der gesellschaftliche Stillstand zwinge den „Menschen, sich mit seiner Endlichkeit zu beschäftigen“, so Gerhard Roiss. Der Abend in der Orangerie soll aber nicht nur das existenzielle Drama in Form eines Monologs aus Byrds Aufzeichnungen destillieren, sondern im Umgang mit Extremen durchaus auch zu einer „humoresken Auseinandersetzung“ ermutigen. Die scheint auch dringend nötig, denn nichts stärkt die Resilienz angesichts von Katastrophen so sehr wie der Humor – das müssen Klimaaktivisten allerdings noch lernen.
Aufbruch ins Eis | R: Gerhard Roiss | Orangerie Theater | 2. - 5.12. | 0221 952 27 08
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