Der kleine Saal im Keller des Theater am Sachsenring ist gut besucht. Ein durchmischtes Publikum sitzt an runden Tischen vor der Theaterbühne, auf der lediglich zwei Stühle und eine Leiter zu erkennen sind. Das Publikum tuschelt aufgeregt. Für alle Anwesenden ist es die erste Station der Kölner Theaternacht, die zum 19. Mal mit besonderen Einblicken in die Programme der freien Spielstätte und Theaterensembles aufwartet. Dieses Jahr konnte die Theaternacht ihren Besucherinnen und Besuchern über 200 Vorstellungen von mehr als 100 Ensembles in ganz Köln bieten: von kurzweilig amüsant über experimentell performativ bis hin zu schwerer politischer Kost. Insgesamt haben sich 39 Spielstätten beteiligt.
Im Theater am Sachsenring startet die Theaternacht mit einer offenen Probe des neuen Stücks „Die Weihnachtsengel“, einer Komödie von Thomas Reis, interpretiert von Regisseur Joe Knipp, der 1987 gemeinsam mit der Kunsterzieherin Hannelore Honnen das Theater gegründet hat. Während die letzten Gäste den Saal betreten, sitzt Knipp bereits in vorderster Reihe und wartet darauf, dass es endlich losgeht. „Herzlich willkommen zur 19. Kölner Theaternacht“, begrüßt er wenig später sein Publikum. Er erzählt von der Geschichte der Theaternacht und darüber, dass er sie 2001 gegründet habe: „Eine der Grundideen war damals, nicht nur in die Produktionen der Theater hineinzuschauen, sondern auch hinter ihre Kulissen.“
Das ist auch heute so. „Die Weihnachtsengel“ befindet sich in einem sehr frühen Produktionsstadium, zudem ist eine der Schauspielerinnen, Anna Möbus, erkrankt, weshalb heute Richard Hucke den Platz als zweiter Weihnachtsengel neben Nina Ruhz eingenommen hat. Beide betreten unter Applaus die Bühne. Außer einer weißen Perücke sind sie kaum kostümiert. Zudem hat Hucke während der Probe den Text seiner erkrankten Kollegin in der Hand, muss immer wieder nachfragen, wie er das Gesagte betonen soll. Doch das macht überhaupt nichts. Im Gegenteil: Die halbstündige Vorstellung wird nicht nur für das Publikum zu einer spaßigen Angelegenheit. Auch Knipp und die Schauspieler lachen viel, Knipp gibt dabei immer wieder Regieanweisungen, aus denen man seine Erfahrung heraushören kann.
Im Stück selbst wird das Christentum und seine weihnachtlichen Rituale von vorne bis hinten durch den Kakao gezogen. Da erfolgt die unbefleckte Zeugung Jesu schon mal per Telefonsex und der Weihnachtsmann will seine bei Amazon bestellten Geschenke umtauschen. Trotz des frühen Stadiums und der spontanen Berufung Huckes zum Engel ist die offene Probe ein gelungener Auftakt der Theaternacht. „Wir erzählen die Weihnachtsgeschichte dieses Mal postfaktisch“, drückt Ruhz es in der Rolle von Gott persönlich aus. Vorfreude aufs Fest macht sie auf jeden Fall.
„Die Weihnachtsengel“ | R: Joe Knipp | 14.(P), 15., 16., 21., 22., 23., 28.11. | Theater am Sachsenring | 0221 31 50 15
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Es sollte jede Art von Kunst geben“
Joe Knipp über die Schließung des Theaters am Sachsenring – Interview 11/19
Nicht mehr dabei
„Tür auf, Tür zu“ im Theater am Sachsenring – Bühne 07/19
Blaue Nacht, rote Sonne
„Die Zauberflöte“ im Theater am Sachsenring – Theater am Rhein 06/19
Jubiläum mit Roboter
Theater am Sachsenring feiert 30er mit Komödie und Party – Bühne 03/17
„Ein großes Privileg, diese Arbeit machen zu dürfen“
Joe Knipp über 30 Jahre Theater am Sachsenring – Bühne 03/17
Ohne Biss
„Dracula“ am Theater am Sachsenring – Theater am Rhein 06/15
Großmeister des Flaschentrockners
„Satisfaktion II“ im Theater am Sachsenring – Theater am Rhein 02/14
Theater als Grundrecht für Kinder und Jugendliche
Diskussion am JTB am Welttag des Kinder- und Jugendtheaters – Bühne 03/21
Theater von und für Frauen
Die BUSC zeigte im Stream das „Femme BUSCival“ – Bühne 03/21
Tanz allüberall
Festival tanz nrw für Ende April geplant – Bühne 03/21
„Wir müssten viel weiter sein“
Pınar Karabulut über „Edward II.“, alte Strukturen und neue Wege – Interview 03/21
Tanzende Geschichte
„Gymnastik“ von Ballet of Difference am Schauspiel Köln – Bühne 03/21
„Schickt den Lauterbach zum Woelki“
Konrad Beikircher über „Kirche, Pest und neue Seuchen“ – Interview 03/21
Tanzen im Wohnzimmer
Lou's The Cool Cats im Senftöpfchen-Stream – Bühne 03/21
Aerosole mio
Senftöpfchen startet Streaming-Programm mit Beikircher-Premiere – Bühne 03/21
„Ich glaube an die Kraft des Theaters“
Choreograf Constantin Hochkeppel über Physical Theatre – Interview 03/21
Streamchen statt Bützchen
„Michel aus Lönneberga“ am Junges Theater Bonn – Bühne 02/21
Suppe ist für alle da
Kinderoper „Pünktchen und Anton“ als deutsche Premiere – Bühne 02/21
Abrechnung mit dem amerikanischen Traum
„Früchte des Zorns“ am Schauspiel Köln – Bühne 02/21
Pathos und Narzissmus
Best-of-Stream von „Das süße Verzweifeln“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 02/21
„Kultur ist eine gesellschaftliche Aufgabe“
Frauke Kemmerling vom Hänneschen Theater über (Puppen-)Theater im Lockdown – Interview 01/21
Lieber heute statt morgen
Performance-Festival tanz.tausch findet digital statt – Festival 01/21
Zuhören, um die Zukunft zu retten
Radiomärchen zum Mitmachen: „Hurly*Burly“ von Paradeiser – Spezial 01/21
„Bachmann ist an der Gesellschaft zerbrochen“
Trilogie „Auf-Brüche“ über Schriftstellerin Ingeborg Bachmann – Premiere 12/20
Kunst und Kaufkraft
wehr51 in Zeiten der Pandemie – Auftritt 12/20