Theateradaptionen von Kinofilmen gibt es häufig; oft scheinen sie weniger inhaltlich motiviert denn dem Schielen auf die Werbewirkung eines erfolgreichen Stoffes geschuldet. Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“ indes schreien geradezu nach einer Bühnenfassung. Das Beziehungsdrama von 1973, im schwedischen Fernsehen als Sechsteiler ausgestrahlt, für die Kinoauswertung um fast die Hälfte auf knapp drei Stunden gekürzt, ist – trotz der Nebendarsteller – im Kern ein dialoglastiges Zweipersonenstück, bei dem die Kamera weniger Räume zeigt als Körper und Gesichter. Erzählt werden Stationen in der zweiten Hälfte des zwangzigjährigen Zusammenlebens der Anwältin Marianne und des Naturwissenschaftlers Johan. Eine scheinbar mustergültige Ehe des gehobenen Mittelstands, die zwei Töchter hervorbrachte, hinter deren glücklicher Fassade aber eine Mischung aus Enttäuschungen, Verletzungen und Betrug brodelt. Intendant Joe Knipp zurrt die kritische Analyse der kleinsten bürgerlichen Institution zusammen auf rund eindreiviertel Stunden und arbeitet in seiner Inszenierung ein dichtes Kammerspiel heraus, das den Vergleich mit dem preisgekrönten Werk des filmischen Seelenforschers nicht scheuen muss. Direkt und schnörkellos à la Bergman ist auch die Bühne eingerichtet. Zwei Stühle, ein Tisch und ein wandelbarer Kasten lenken das Auge nicht ab von den Schauspielern. Gerahmt wird die Spielfläche von Stellwänden, die mit Textil in Beige bespannt sind; jenem natürlichen, warmen, aber auch unbestimmten und trüben Farbton, der symbolisch für diese Ehe stehen könnte. Gedeckt sind auch die Farben der Kostüme – zumindest bis zum zweiten Teil des Abends, wenn Marianne auflebt und sich ihre ungehemmtere Präsenz subtil in klareren Linien und offensiverem Styling ausdrückt. Insgesamt behält Knipp die stärkere Betonung der weiblichen Perspektive bei, die auch schon die filmische Vorlage kennzeichnete. Marianne, die Hintergangene, Gedemütigte, sich aber auch Unterwerfende, bietet größeres Entwicklungspotenzial. Eindimensionale geschlechtsspezifische Schuldzuschreibungen lassen sich hier trotzdem nicht treffen, das komplizierte Verhältnis bleibt in einer spannungsreichen Ambivalenz. Das ist vor allem das Verdienst der ausgezeichneten Darsteller. Die in Köln lebende Pariserin Aurélie Thépaut, erstmals am Theater am Sachsenring, und Richard Hucke, der hier schon als Christian in „Das Fest“ Erfolge feierte, füllen ihre Rollen mit großer Natürlichkeit aus. Er bezeichnet seinen Charakter als Schwein und Kadaver, dessen Leben vorbei sei – und genau so spielt Hucke ihn auch. Seine Partnerin fasziniert mit emotionaler Bandbreite und einer enorm beredten Mimik. Die Nöte ihrer beiden Figuren so nah – der Vorteil des kleinen Raums – mitzuerleben, ist bewegend bis beklemmend, manchmal auch witzig und stimmt nachdenklich. Ein klassischer, souveräner Theaterabend, der das Zeug zum Dauerbrenner hat.
JESSICA DÜSTER „Szenen einer Ehe“ nach dem gleichnamigen Film von Ingmar Bergmann I R: Joe Knipp I 28.-30.6./11.-13./18.-20./25.-27.10. 20 Uhr I Theater am Sachsenring I www.theater-am-sachsenring.de
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