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Joe Knipp vor seinem Theater am Sachsenring
Foto: Katja Sindemann

„Ein großes Privileg, diese Arbeit machen zu dürfen“

17. März 2017

Joe Knipp über 30 Jahre Theater am Sachsenring – Bühne 03/17

Im Februar 1987 gründete Regisseur Joe Knipp mit der Kunsterzieherin Hannelore Honnen das kleine aber feine Theater am Sachsenring. Nun feiert es 30-jähriges Bestehen, auch wenn es 2009 aus Geldmangel ein Jahr pausieren musste. Es erholte sich nicht zuletzt deshalb, weil es das Publikum mit einer guten Mischung aus Klassischen Stücken, Komödien und Uraufführungen zeitgenössischer Autoren überzeugt. Das Jubiläum wird zelebriert mit der soeben angelaufenen Science-Fiction-Komödie „Ab jetzt“ des britischen Starautors Alan Ayckbourn, die Feier findet am 24. März nach der Vorstellung statt.

choices: Herr Knipp, was war Ihre Motivation, das Theater am Sachsenring zu gründen?
Joe Knipp:
Ich war schon künstlerisch unterwegs mit Theater und Musik, denn ich habe seit mehr als 30 Jahren die Band Zinnober. Dieses Haus wurde 1986 gebaut und der Hausherr leistete sich ein Privattheater im Keller. Ich habe mich sofort in die Räumlichkeiten verliebt. Damals wurde Musik, Kabarett und Bauchtanz angeboten. Als der Leiter es loswerden wollte, habe ich Hannelore Honnen gebeten, mit an Bord zu kommen und seitdem machen wir es.

Welche Ausrichtung gaben Sie dem TAS?
Literatur, Chanson und Kabarett. Nach einem Jahr begannen wir mit Eigenproduktionen. Das erste Stück war „Frau Armand trifft Rosa Luxemburg nicht“ von Hannelore Honnen, nach einer Novelle der französischen Autorin Colette und Briefen von Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis. Ein Beispiel für Widersprüche, die wir im Theater gesucht und gefunden haben. Wir haben Konflikte zwischen Figuren nie mit technischen Mitteln gelöst. Ich konzentriere mich auf die Kraft des Schauspiels, auf den Probenprozess. Wir machen Theater mit Menschen und für Menschen. Das ist manchmal kompliziert, aber meistens sehr beglückend.


„Die Befristeten“ von Elias Canetti, Foto: © TAS / Barbara Siewer

Ein Privattheater ist eine finanzielle Herausforderung – wie schaffen Sie das?
Am Anfang haben wir beide unser Geld hineingesteckt und hatten Betriebskostenzuschüsse der Stadt. Es braucht einen Boden, von dem aus man unabhängig arbeiten kann. Dann wurden die Zuschüsse von Konzepten mit Schwerpunkt auf experimentellem, performativem und sozial engagiertem Theater abhängig gemacht. Da war für uns nichts übrig. Insofern sind wir seit Jahren auf die eigenen Kräfte angewiesen. Es gibt keine Sponsoren oder Mäzene. Ich habe konzeptionelle Änderungen gemacht und versuche, den Spielplan zu mischen. Es gibt gut besuchte Stücke wie „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza, „Peer Gynt“ von Henrik Ibsen und „Die Befristeten“ von Elias Canetti. Das Publikum war fasziniert, dass Canetti eine fiktive Gesellschaft entwirft, in der jeder Mensch sein Todesdatum weiß. Das bedeutet eine hohe emotionale Bedrängnis. Es wird die Frage aufgeworfen, woran Menschen glauben ohne zu hinterfragen. Viele Zuseher sind froh, selber denken zu müssen und reden hinterher auch über das Stück.

Die Stadt hat die Zuschüsse für Freie Theater deutlich erhöht. Spüren Sie das?
Eben nicht. Die Zuschüsse gehen wieder an dieselben Adressen wie vorher, obwohl man wissen müsste, dass mehr Geld nicht unbedingt besseres Theater ergibt. Es geht doch darum, mit Text und Schauspielern eine eigene Welt zu erschaffen. Gerade wenn wir in einer Welt der Lügen und Täuschungen leben, ist doch das einzig Wahre in den Geschichten auf der Bühne zu finden. Deshalb glaube ich, dass die Kunst einen immer größeren Stellenwert bekommen wird.

Wie sehen Sie die neue Kölner Initiative Freies Theater (KIFT), bei der die plattform kölner theater und die Kölner Theaterkonferenz gemeinsam auftreten?
Das finde ich positiv. Ich war jahrelang in der Kulturpolitik engagiert, Vorsitzender der Theaterkonferenz und habe für die Finanzierung der Vielfalt in der Stadt gekämpft, allerdings auch starken Gegenwind bekommen. Das Herausfallen aus der Förderung war die Quittung dafür. Ich habe entschieden, meine Kräfte nicht dort zu verbrauchen, sondern mich auf Inszenierungen zu konzentrieren. Ich sehe aber mit Zustimmung, was dort passiert.

Sie haben 2001 die Kölner Theaternacht gegründet, die nach wie vor ein großer Erfolg ist…
Die Idee, dass die Zuschauer hinter die Kulissen schauen, hat total gut funktioniert – bis heute. Und wurde von anderen Städten kopiert. Die Kölner Stadtverwaltung hat lange gebraucht, den Wert zu erkennen. Für das Publikum ist es immer ein Highlight. Wir machen offene Proben und die Besucher sind frappiert darüber, wie ein Stück entsteht.


„Ab jetzt“ von Alan Ayckbourn, Foto: © TAS / Barbara Siewer

Zum Jubiläum spielen Sie die Science-Fiction-Komödie „Ab jetzt“ von Alan Ayckbourn von 1987, in der Jerome mit einer Roboterfrau zusammenlebt. Würden Sie sich eine anschaffen?
Das ist eine schwierige Frage. In Science-Fiction-Stoffen spitzt es sich auf die Frage zu: Wann wird ein Rechengehirn intelligent, kreativ und vielleicht dem Menschen gefährlich. Ich verlasse mich lieber auf die beschränkten menschlichen Kräfte. Insofern würde ich mir keine anschaffen. Das Schöne an dem Stück: Die Menschen sind kalt und beziehungsunfähig und die Roboterfrau spiegelt das auf so verrückte Weise, dass sie am Menschlichsten rüberkommt. Diese Widersprüche fand ich sehr interessant. Das Stück ist schwierig zu inszenieren, weil es auf Rhythmus und Tempi ankommt, hat aber viel Spaß gemacht.

Begleiten Sie noch Schultheater-Produktionen?
Das habe ich lange an unterschiedlichen Schulen gemacht, jedoch vor zwei Jahren damit aufgehört. Ich wurde jetzt von zwei Kindern angesprochen, die das vermissen und daraus ist die Idee entstanden, dass ich ab Herbst Kurse für Jugendliche und Einzelpersonen anbiete.

Sie arbeiten seit 30 Jahren mit Hannelore Honnen zusammen – wie schaffen Sie beide das?
Zum einen haben wir unabhängige Leben. Bei der Theaterarbeit sind wir kongeniale Ergänzungen. Wir diskutieren über die Stoffauswahl. Sie entwirft die Bühnenbilder und Kostüme. Für mich ist entscheidend, in welchem Raum ich mit den Schauspielern arbeite. Es sind offene Räume mit bestimmten Elementen und die Kostüme sind weder historisierend noch zeitgenössisch. Das Schwebende ist wichtig. Die Kostüme haben eine eigene Leuchtkraft, die die Figuren abschüssiger machen. Das passt einfach.

Wie sehen Sie die Rolle der Freien Theater im Vergleich zu großen städtischen Bühnen? Sind sie besser? Bringen sie mehr Talente hervor?
Besser: nein, mehr Talente: ja. Hervorragend ausgebildete Schauspieler gibt es meist an großen Bühnen. Talente entstehen in der Freien Szene, weil es für viele die erste Station ist. Bei mir bekommen sie große Rollen wie Signe Zurmühlen, die die Ophelia spielte, oder Celina Rongen, die jetzt im Berliner Ensemble ist. Die Freie Szene hat damals multimedial und experimentell gearbeitet, die Schauspielhäuser waren konservativ – das hat sich umgekehrt. Auf den großen Bühnen gibt es nur mehr Event und Spektakel. Die Konzentration auf das performative Theater hängt mit der Eventgeilheit der Kultur zusammen. Insofern hat dieses Theater fast ein Alleinstellungsmerkmal, weil wir mit den Mitteln des Schauspiels Stücke spielen.

Hat sich das Publikum in den letzten 30 Jahren verändert?
Am Anfang war es junges Publikum, eine Verbindung zwischen alternativer Szene, Chanson und Kabarett. Dann ist es immer älter geworden. In den letzten zwei, drei Jahren mischt sich das. Wir haben alle Altersstufen. Die Jungen sind von der alten Sprache eines Kleist erst irritiert, dann in den Bann gezogen. Das ist ermutigend.


Zinnober im Alten Pfandhaus: Albrecht Zummach, Joe Knipp und Clemens Dreyer
Foto: © Zinnober

Sie singen seit über 30 Jahren in der Band Zinnober. Woher nehmen Sie die Zeit?
Wir haben den Aufwand reduziert und machen nur mehr Wohnzimmer-Konzerte beim Vibraphonisten ohne Verstärkung. Das Publikum ist ein Meter weit weg und das Programm sitzt so, dass wir nur drei Proben brauchen. Das ist schön.

Was ist Ihr Wunsch für Ihr Theater bzw. der Freien Szene an die Stadt?
Achtung vor der Kunst im umfassenden Sinn, in der Haltung und finanziell. Die Bürokratisierung hat leider zugenommen. Ein Theater, das seit 30 Jahren erfolgreich arbeitet, sollte keine seitenlangen Erklärungen mehr abgeben müssen, sondern eine Grundförderung bekommen und fertig. Seit es die Förderkonzepte gibt, werden die Kriterien immer aufwendiger und komplizierter, werden mehr Theater ausgeschlossen. Ich fand es gut, dass dies in einer Erklärung benannt wurde. Es ist ein großes Privileg, diese Arbeit machen zu dürfen, mit Stücken Leute zu berühren mit Herz und Hirn.

„Ab jetzt“ | R: Joe Knipp | 18., 23., 25.3. 20 Uhr, 24.3. 19 Uhr | TAS | 0221 31 50 15
„Die Befristeten“ | R: Joe Knipp | Sa 29.4. 19 Uhr | TAS | 0221 31 50 15

INTERVIEW: KATJA SINDEMANN

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