Tim Mrosek war von 2010 bis 2015 künstlerischer Leiter des Theaterlabels c.t.201. Er ist Dramaturg an der studiobühneköln und arbeitet darüber hinaus als Dozent und freier Regisseur.
Der Kölner Regisseur und Dramaturg Tim Mrosek hatte 2017 auf der kleinen Bühne des Orangerie-Theaters Shakespeares blutrünstiges Drama „Titus Andronicus“ von 14 auf 5 Schauspieler sehr eindrucksvoll eingedampft. Auf der Studiobühne, ehemalige Mensa der Universität, ging es jetzt – man durfte gespannt sein – von 11 auf nur 2 zurück im „Sturm“, nicht von, sondern nur „nach“ Shakespeare, seinem letzten Stück. Selbst der Artikel im Titel wurde wegrationalisiert. Zu Recht, hat doch Mrosek, unterstützt von den Dramaturgen Martin Wiesenhöfer und Katja Winke, ganze Arbeit geleistet mit einer partiellen Versetzung in die Jetztzeit, mit ständigem Tausch der Charaktere, mit stürmisch-harter Rockmusik, mit wilden Kampfszenen und mit 7,5 Tonnen Lkw-Ladungen an Sand auf der sonst nackten schwarzen Bühne von Jasper Diekamp. Dort flackert „Hell is empty and all the devils are here“. Zuckende schwarze Gestalten, offensichtlich Schiffbrüchige nach einem Sturm (kein Wunder bei dem Krach), quälen sich auf der mit einzelnen Blümchen karg bewachsenen Insel an die Rampe, schreien tonlos und kämpfen gefühlte fünf Minuten bis zur Erschöpfung. Sind wir in einem modernen Ballett gelandet? Mitnichten; der gleichzeitige und sehr minuziöse Monolog beider fordert eine Gesellschaftsutopie, ein ideales Leben ohne Krieg und ohne Arbeit.

Tim Mrosek war von 2010 bis 2015 künstlerischer Leiter des Theaterlabels c.t.201. Er ist Dramaturg an der studiobühneköln und arbeitet darüber hinaus als Dozent und freier Regisseur.
Die umfangreiche Vorgeschichte wird von den beiden offensichtlich noch Namenlosen gegenseitig erzählt, man muss schon sehr gut aufpassen, um alles mitzubekommen. Der mächtige Zauberer Prospero war einst Herzog von Mailand, hatte die Regierungsgeschäfte seinem Bruder Antonio überlassen, um sich intensiv mit der Magie beschäftigen zu können. Dieser vertrieb ihn Jahre später mithilfe des Königs von Neapel und setzte ihn zusammen mit Tochter Miranda auf einer Insel aus, wo er den Ureinwohner Caliban fand und sich den Luftgeist Ariel dienstbar machte. Nun sind seine einstigen Widersacher in seiner Gewalt. Er hat ihr vorbeisegelndes Schiff durch Zauberei an der Insel stranden lassen. Das Stück wäre nicht von Shakespeare, wenn hier nicht diverse Geschicke um Liebe, Zauberei, Macht und Magie, Mordkomplott, Ränkespiele und Unterwerfung Raum greifen würden. Auch die große Politik spielt am Verbannungsort eine Rolle. Aber dann verliebt sich der feindliche Königssohn Ferdinand, der den Sturm überlebt hat, in Miranda. Prospero vergibt aus Einsicht und menschlicher Güte seinen einstigen Widersachern, kehrt mit ihnen zusammen als Herzog nach Mailand zurück und gibt die Zauberei auf.
Es macht Sinn, vor dem Besuch des Stückes den Inhalt der Originalversion und die handelnden Personen zu kennen, denn in den fünf Traumszenen wechseln die beiden Schauspieler immer wieder die handelnden Personen, sind mal Männchen, mal Weibchen. Ariel ist köstlich offen schwul, und Caliban, Sklave des Prospero, nervt mit ständigem Riechen an seinem Achselschweiß und sonstigen Körpergegenden. Man redet manchmal in Kindersprache, mal vermischt mit Umweltschutz-Aktivitäten („Cola nur ohne Strohhalm“) und aktuellen Sprüchen wie „Nur ein toter Nazi ist ein guter Nazi“ oder „Das ist mein Deutschland“.
Schauspielerisch ist hier Großartiges zu erleben. Sibel Polat, drahtig und sehr sportlich, titscht regelrecht durch die verschiedenen Rollen, sehr prägnant und akzentuiert bewältigt sie eine Riesenmenge Stoff ganz ohne Souffleur, mit einer tollen körperlichen Ausstrahlung und exzessiver Mimik. Sie stammt von der Arturo Schauspielschule Köln. Ihr Mitspieler Asim Odobašić, ausgebildet an der Theaterakademie Köln, steht ihr in nichts nach; es ist ein pures Vergnügen, ihm beim Spiel des Machtmenschen Prospero zuzuschauen. Mit vielfältigen szenischen Gags und magischen Momenten gelingt hier ein kurzweiliger Abend, gepaart mit der von den Machern gewollten nachdenklichen Einsicht, wie Machtmissbrauch, Angst und Gewalt zusammenhängen können. Diese Intentionen Shakespeares laufen allerdings Gefahr, durch die Schrumpfung und Verdrehungen etwas unterzugehen. Nach einer Stunde riesiger Applaus des hoch gespannten vollen Hauses für ungewöhnliches wie faszinierendes Theater.
„Der Sturm“ | R: Tim Mrosek | 28. - 31.3. 20 Uhr | Orangerie | 0221 470 45 13
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