Dass dieser Theaterabend nicht nur zum Anschauen und Zuhören einlädt, wird bereits an der Kasse klar. Wenn man sich während des Stücks interaktiv beteiligen wolle, könne man sich per QR-Code in den Whatsapp-Chat einwählen, heißt es dort. Der stimmungsvolle Innenhof des Orangerie-Theaters, den hohe Stehtische im Kerzenschein zieren, scheint wie der Eingang in eine andere Welt. Eine Welt, die so skurril und absurd, doch auch verblüffend echt wirkt. Im Verlauf des Abends ziehen das Schauspielerensemble ebenso wie die besondere Kulisse die Zuschauer in ihren Bann und lassen sie die Welt da draußen für einen Moment vergessen.
Nachdem sich die Gäste im Theatersaal verteilt haben, verdunkelt sich der Raum und erzeugt durch digitale Videobilder, die rings um die Bühne an allen drei Wänden abgespielt werden, eine düstere, fast bedrohliche Stimmung. Tote Fledermäuse, die aufgebahrt auf Tischen liegen, Bilder ferner Metropolen, Menschen, die ihre Gesichter zur Hälfte mit Masken vermummt haben und Spritzen, die in die Arme von Personen injiziert werden, lassen die ungeschönte Realität vergangener Monate erneut vor Augen führen. Glaubte man, mittlerweile einer Art Corona-Überdruss zu unterliegen, so sind diese Bilder nur eines von diversen dramaturgisch-gestalterischen Mitteln, die sich das Team für die Produktion ausgedacht hat und die Sinne der Zuschauer so unglaublich subtil und dennoch dezidiert ansprechen, dass zeitweise die Welt auf der Bühne die einzige zu sein scheint. Nebst digitaler Videokunst (Ivó Kovács) leitet József Iszlai mit elektronischen Tönen, erzeugt durch Synthesizer und E-Gitarre, mal lauter und mal leiser durch die einzigartige Klanglandschaft des Abends. Im Vordergrund stehen die beiden Protagonisten Claire (Theresia Erfort) und die Pest, welche als schauriges Geschöpf dargestellt wird, sowie die zwei Roboter Sophia und Bob (Maximilian von Mühlen und Boshi Nawa).
Es ist das Jahr 2050. Claire ist eine einsame Witwe, die ihren Mann an eine neue Spillover-Krankheit, das Virus TAF 12, verloren hat. Auch vor Claire hat der Erreger keinen Halt gemacht. Als sie wieder gesundet, beschließt sie, ihr Haus nicht mehr zu verlassen. Ihre Therapie: Sprechen mit ihren KI-Robotern Pandemixer. Kurz darauf springt die Handlung in das Jahr 1665 – die Pest grassiert und steht prompt als leibhaftiges Geschöpf auf der Bühne, wo es von seinen Gräueltaten an der Menschheit berichtet. Unterdessen klagt die einsame Claire von der Trauer über ihren verstorbenen Mann. An diesem Abend jedenfalls muss sie sich nicht allein fühlen, wenn sie das Publikum dazu auffordert, ihr eine Whatsapp-Nachricht zu ihrem Wohlergehen zu senden. Dies scheint die antwortenden Zuschauer sichtlich zu amüsieren. Das Team und Regisseur Kristóf Szabo waren sich während der Proben zunächst unsicher, ob das Publikum an den interaktiven Parts des Stückes Gefallen haben würde, schildert Szabó nach der Vorführung. Offensichtlich haben sie mit dieser Idee geradewegs ins Schwarze getroffen und das Stück durch die interaktive Beteiligung des Publikums zu etwas ganz Besonderem gemacht.
Nach Claires Geschichte drängt sich die Frage auf, inwiefern wir in der Wirklichkeit die Möglichkeiten von KI und Robotern nutzen können, um gegen die universelle Thematik der Einsamkeit anzukämpfen – sowohl während als auch nach der Pandemie. Roboter sind unsterblich, wir können sie nach eigenem Belieben programmieren und sie sind immer bei uns. Warum also nicht das Potenzial der Verbindung zwischen Menschlichkeit und künstlicher Intelligenz nutzen? Anregungen, Schauer und Entsetzen, aufgelöst durch Ironie und verblüffende Realitätsbezüge, gibt es im „Pandemixer“ jedenfalls zur Genüge.
Pest vs. Robot (auch genannt Pandemixer) | R: Kristóf Szabo | 10.11.-13.11. je 20 Uhr, 14.11. 18 Uhr | Orangerie Theater | www.orangerie-theater.de
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