
Sparta
Österreich, Deutschland, Frankreich 2022, Laufzeit: 99 Min., FSK 16
Regie: Ulrich Seidl
Darsteller: Georg Friedrich, Florentina Elena Pop, Hans-Michael Rehberg
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Pädophilen-Drama
Dein ist mein ganzes Herz
„Sparta“ von Ulrich Seidl
Im September 2022 unterstellt ein Artikel im „Spiegel“ dem Regisseur Ulrich Seidl, die Eltern der minderjährigen rumänischen Protagonisten über die pädophilen Inhalte seines neuesten Films „Sparta“ nicht aufgeklärt und das Wohlbefinden der Kinder während der Dreharbeiten vernachlässigt zu haben. Der Film wird daraufhin beim Filmfest Toronto aus dem Programm genommen. Seidl wird auch andernorts gemieden und ausgeladen und die Drehbedingungen zu seinem Film medial als Skandal gehandelt. Weitestgehend ohne konkrete Überprüfung der Vorwürfe. Inzwischen hat Seidl den Film gemeinsam mit den betroffenen Eltern geschaut, die sich nach diesem Austausch wohl versöhnlich zeigten. Der Verdacht, dass der Skandal womöglich gar kein Skandal ist, könnte sich nach der Sichtung des Films auch beim Publikum einstellen.
Damit zum Film selbst: Seidl hatte sich eigener Aussage zufolge ursprünglich lang verweigert, einen Film über Kindesmissbrauch zu drehen. Ein Tatsachenbericht über einen deutschen Pädophilen, der Jungen nackt fotografierte und die Bilder online zum Verkauf anbot, änderte seine Meinung. Sie mündete in dieser Geschichte über Ewald (Georg Friedrich), dem Bruder von Richie, den wir aus Seidls letzten Film „Rimini“ kennen. „Sparta“ ist ein Drama über einen Mann, der seine pädophilen Neigungen entdeckt und einen händelbaren Ausweg sucht.
Ewald ist Mitte vierzig, und er ist ein guter Mensch. Ein einfacher Mann mit Herz. Seit einiger Zeit lebt er gemeinsam mit seiner Partnerin in Rumänien. Regelmäßig kehrt er heim nach Österreich, um seinem Vater (Hans-Michael Rehberg in seiner letzten Rolle), einem traurig dementen Altnazi, im Altersheim beizustehen. Dann verändert sich etwas. Innerlich. Ewald spürt, dass er Kindern zugeneigt ist und entfernt sich emotional von seiner Partnerin. Verzweiflung regt sich in ihm. Und ein Fluchtreflex. Er packt die Koffer und fährt ins rumänische Hinterland, wo er eine verlassene Dorfschule in Beschlag nimmt, sich als Judo-Lehrer vorstellt und schon bald eine Schar Jungen um sich versammelt, mit denen er das Gebäude auf Vordermann bringt. Er tobt und spielt mit den Jungs, gibt Judostunden. Er besucht sie daheim, zeigt sich glaubwürdig fürsorglich und liebevoll. Droht er dabei, den Kindern zu nah zu kommen, entzieht er sich und versteckt im Stillen Neigung und Verzweiflung.
Ewalds Anbändelung hat in diesem Drama nichts Obszönes. Weil er sich nicht gestattet, sie auszuleben und damit einen Kompromiss sucht: Nähe ohne Übergriff, geschützt in seiner Festung, die er „Sparta“ nennt. Aus Ewald spricht Liebe und Verantwortung ebenso wie einsamer Schmerz. Ewald erwächst zur Vertrauensperson, zum Vaterersatz, während draußen die Väter der Jungs Abgründe aufweisen. Seidl verkehrt Blick und Vorurteil – ohne zu verstecken, dass in Ewald eine Zeitbombe tickt. Hier wird nichts beschönigt, letztlich belügt sich Ewald selbst. Seidl macht den Täter nicht zum Opfer. Doch er meidet Stereotype.
Ähnlich wie in „The Woodsman“ von 2004, in dem Kevin Bacon einen Pädophilen verkörpert, der gegen seine Ausrichtung ankämpft, schärft „Sparta“ den Blick auf die tragische Tücke einer Neigung. Die Perspektive, die Seidl einnimmt, wird einigen nicht gefallen. Aber genau das gehört zu seinem Selbstverständnis: Seidel ging es nie darum, gefallen zu wollen. „Ich wünsche mir, dass der Zuschauer nach einem Film von mir anders aus dem Kino kommt als er hinein gegangen ist“, sagt er. „Ich will verunsichern, weil jede Verunsicherung Fragen aufwirft und, im besten Fall, auch zu neuen Erkenntnissen führt.“ Dieses Drama wird verunsichern. „Sparta“ gehört zu Seidls besten Filmen.

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