Mit Handyaufnahmen und Archivbildern gegen die Taliban: Für „Bread & Roses: A Fight for Women's Rights“ erhielt Sahra Mani im Juni den Peabody Award für die beste frauenthematische TV-Dokumentation des Jahres 2024. Ihr Film über Frauen im heutigen Afghanistan wurde außerdem für einen Emmy nominiert. Am Dienstag, 2. Dezember wird Mani ihren Film bei einer Sondervorführung des LaDOC-Netzwerks im Filmhaus in Köln präsentieren.
Sahra, du bist in Afghanistan geboren. Wie hast du die Geschichte dieses Landes in den letzten Jahren erlebt?
Ich wurde im Norden Afghanistans geboren, aber meine Familie verließ das Land während der sowjetischen Invasion. Ich bin als Flüchtling dann an verschiedenen Orten aufgewachsen und kehrte später als Journalistin, Fotografin und Filmemacherin nach Afghanistan zurück. Ich lebte und arbeitete dort bis zur Machtübernahme durch die Taliban im Jahr 2021.
In den Jahren vor dem Zusammenbruch sah ich, wie afghanische Frauen im öffentlichen Leben immer sichtbarer wurden und in Medien, Politik, Regierung und Universitäten arbeiteten. Es gab ein echtes Gefühl der Hoffnung und Frauen prägten die Gesellschaft ausgesprochen stark. Der Fall Kabuls war nicht nur ein politischer Schock, sondern auch ein zutiefst persönlicher. Ich habe gesehen, wie die Frauen alle Rechte verloren, für die sie jahrzehntelang gekämpft hatten.
Durch die Machtübernahme durch die Taliban müssen Frauen plötzlich wieder zu Hause bleiben – und verlieren ihre Errungenschaften und Freiheit. Sie dürfen nicht einmal zu Hause singen. Wie schwierig war es für dich, diese Situation und die Proteste der Frauen auf der Straße zu dokumentieren?
Seit 2010 reiste ich in viele Teile Afghanistans, drehte Filme und gab Workshops in verschiedenen Provinzen. Ich trug meine Kamera immer bei mir und filmte alles, was mich bewegte – wunderschöne Lichtstimmungen, alltägliche Szenen, besondere Momente. Ich dachte nicht an einen bestimmten Film, ich liebte das Filmen an sich. Deshalb habe ich ein großes persönliches Archiv von Kabul und anderen Orten aufgebaut, zu verschiedenen Jahreszeiten, Tageszeiten und Orten. Dieses Archiv wurde im Schnittraum von „Bread and Roses“ unverzichtbar und wird auch für meine nächsten Filme wie „Kabul Melody“ nützlich sein.
Ich habe nicht das gesamte Filmmaterial selbst gedreht. Nach der Machtübernahme durch die Taliban wurde es verboten, Filme für Frauen zu machen. Viele Videos stammen von afghanischen Frauen im Land. Sie nahmen die Filme mit Handys in ihren Wohnungen auf, auf der Straße während Protesten oder nachts bei kleinen Widerstandsakten wie dem Anbringen von Graffitis. Einige Videos entstanden während Familienessen oder im Alltag zu Hause. Ich habe einige Frauen darin geschult, wie man mit begrenztem Risiko filmt. Ich kontaktierte die Frauen über soziale Netzwerke. Viele waren bereits in Gefahr, einige waren wegen Protesten bereits festgenommen oder mit dem Tod bedroht worden. Trotzdem schickten sie mir weiterhin ihr unbearbeitetes und persönliches Filmmaterial. Ich hoffe, wir können die Frauenbewegung Afghanistans als Teil der Geschichte des Landes dokumentieren.
Das Sammeln dieser Videos war emotional schwierig, aber ich hielt es für notwendig. Dieses Projekt drehte sich nicht nur um Filmemachen; es ging darum, Beweise für das, was afghanische Frauen durchmachen, zu sichern und so ein Archiv der Geschichte zu schaffen.
Die Frauen sind nun wieder in ihren Wohnungen und Häusern gefangen – auch wenn sie zuvor studiert oder gearbeitet haben. Einige Frauen wurden wegen ihrer Proteste inhaftiert oder mit dem Tod bedroht. Trotz dieser Hoffnungslosigkeit zeigt dein Film das Alltagsleben – und vermittelt sogar Freude oder Komik, die aus dem Kontrast zwischen den Beschränkungen der Taliban und der Bildung und Hoffnung der Frauen entsteht. Wie hast du das geschafft?
Es war mir sehr wichtig, Momente des Alltags und Humors miteinzubeziehen. Ich glaube, die Widerstandsfähigkeit afghanischer Frauen zeigt sich nicht nur in den Protesten, sondern auch darin, wie sie ihre Würde, Freundschaften und sogar ihr Lachen unter solch strengen Einschränkungen bewahren. Das Feiern des Lebens ist ebenfalls eine Form des Widerstands.
Ich wollte, dass die Zuschauer sich diesen Frauen nahe fühlen – als wären sie ihre eigenen Schwestern. Szenen beim Kochen, Reden, Ankleiden, Lesen oder Lachen sind beabsichtigt. Sie zeigen, dass das Leben auch in Gefangenschaft weitergeht und dass Widerstand auch im einfachen Akt des Lebens existiert. Humor ist ein Werkzeug zum Überleben. Die Darstellung dieser Momente offenbart die Komplexität des Lebens afghanischer Frauen jenseits der Opferrolle.
Was bedeutet der im Film mehrfach gezeigte Slogan „Arbeit, Brot, Bildung“ für dich? Was sollte er für uns außerhalb Afghanistans bedeuten?
Bei den Protesten skandieren Frauen „Brot, Arbeit, Bildung, Freiheit“. Für mich trägt jedes Wort eine tiefe Bedeutung:
1. Brot steht für Grundbedürfnisse, das Recht zu überleben, die Familie zu ernähren und würdevoll zu leben.
2. Arbeit steht für wirtschaftliche Unabhängigkeit und das Recht, zur Gesellschaft beizutragen, anstatt gezwungen zu sein, zu Hause zu bleiben.
3. Bildung bedeutet die Fähigkeit, zu denken, zu wachsen und sich eine Zukunft vorzustellen – ein Recht, das afghanischen Mädchen und Frauen heute verwehrt wird.
4. Freiheit und die Rose symbolisieren Menschlichkeit, Würde und das Recht, ein sinnvolles Leben zu führen.
Ich hoffe, dieser Slogan hallt weit über Afghanistan hinaus. Er ist ein universeller Aufruf zur Solidarität und eine Erinnerung daran, dass Frauenrechte Menschenrechte sind. Die Welt darf die Frauen nicht vergessen, die weiterhin unter der Taliban-Herrschaft Widerstand leisten.
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