Donnerstag, 16. Oktober: Auch im 35. Jahr seines Bestehens hat das Film Festival Cologne (ehemals Cologne Conference) wieder einige große Namen in die Domstadt gelockt. Schon einige Wochen, bevor die diesjährige Ausgabe am Abend nach acht Festivaltagen mit der Preisverleihung zu Ende ging, standen die Hauptpreisträger bereits fest. In den traditionellen Artist Talks am Nachmittag des letzten Festivaltags wurden Mstyslav Chernov (phoenix Preis), Maren Eggert (International Actors Award), Kleber Mendonça Filho (Hollywood Reporter Award) und Werner Herzog (Filmpreis Köln) auf der Bühne des Filmpalastes zu ihren Karrieren interviewt und stellten sich anschließend den Fragen des zahlreich erschienenen Publikums. Der Brasilianer Kleber Mendonça Filho, dessen sämtliche Langfilme im Laufe der Jahre auf dem Film Festival Cologne gezeigt wurden, hatte in diesem Jahr seinen neuesten Film „The Secret Agent“ mit im Gepäck, der zeitgleich am 6. November dann auch in Brasilien und Deutschland regulär in den Kinos starten wird. Im Interview mit Filmjournalist Daniel Kothenschulte erläuterte der Filmemacher seine Faszination für Geschichtliches: „Meine Mutter war Historikerin, mein Vater Professor für Geschichte und Justizgeschichte. Die Vergangenheit und Geschichte wurden bei uns zu Hause permanent diskutiert.“ Im Laufe seiner Recherchen für den Film hatte Mendonça eine lange Zeit in Archiven verbracht, was die Entstehung des Drehbuchs für „The Secret Agent“ maßgeblich beeinflusst habe. Die Begriffe Kunst- oder Arthouse-Film würde er selbst gar nicht verwenden, da diese Unterscheidung seiner Meinung nach lediglich für die Filmindustrie von Bedeutung ist. Er selbst liebe einfach das Kino in seiner Gesamtheit und würde die Grenzen zwischen den Filmstilen bewusst verwischen.
Leben mit und für das Kino
Obwohl sein neuer Film im Jahr 1977 angesiedelt ist, spiegelt die Geschichte laut Mendonça auch sehr deutlich die Bolsonaro-Jahre Brasiliens wider, die gerade überstanden waren, als er mit den Arbeiten am Drehbuch begann. „Der fetischistische Fokus von Bolsonaro auf die 1960er und 70er Jahre und deren Misogynie, Homophobie und Rassismus hat die Geschichte von ‚The Secret Agent‘ sehr stark beeinflusst“, so der brasilianische Regisseur weiter. Er habe dies allerdings erst bemerkt, als er das Drehbuch beendet hatte und erstes Feedback von Freunden dazu bekam. Einen Plan B hätte es in Mendonças Leben nie gegeben, er habe sein gesamtes Leben als Erwachsener auf die eine oder andere Weise dem Kino gewidmet und sei auch froh darüber, dass ihn sein Elternhaus bei der Realisierung immer tatkräftig unterstützt habe. Auch Werner Herzog, der mit Anfang 20 seine ersten eigenen Filme realisierte, blickt mit 83 Jahren auf ein Leben mit und für das Kino zurück. Beim Artist Talk mit dem katalanischen Filmregisseur Albert Serra, dessen neuer Dokumentarfilm „Afternoons of Solitude“ ebenfalls beim Film Festival Cologne gezeigt wird, meinte Herzog allerdings, dass sich die Filmindustrie in all den Jahrzehnten kaum geändert habe, wenn man einmal von den technologischen Fortschritten absehe. Amüsiert stellte Herzog darüber hinaus fest, dass er einiges mit Serra gemeinsam habe: „Wir können beide Kühe melken, und das ist für einen Filmemacher sogar noch wichtiger, als eine Filmschule besucht zu haben.“ Der Autodidakt ergänzte, dass ihn Trends in der Filmindustrie nie interessiert hätten, was für seine Produzenten oder seine Filme selbst nicht selten ein Problem dargestellt habe.
An sich selbst glauben
Andererseits hat Herzog diese Unbekümmertheit auch immer mal wieder zu seinem Vorteil verwenden können. „Als ich meine erste Oper inszenierte, fehlte mir jegliches Wissen, wie man so etwas macht. Das Publikum sprang aber darauf an, weil meine Herangehensweise so einzigartig war“, erläuterte der Filmemacher im Filmpalast. Auch bei seiner Filmarbeit schert sich Herzog wenig um Konventionen oder eingespielte Arbeitsweisen. „Als Regisseur interessiere ich mich überhaupt nicht für die psychologischen Hintergründe meiner Figuren. Eine der wenigen Anweisungen, die ich meinen Schauspielern zu ihrer Rollengestaltung gebe, ist ‚Lass die Sau raus!‘“ Auf dem Film Festival Cologne wurde in dieser Woche Herzogs neuester Dokumentarfilm „Ghost Elephants“ aufgeführt, den Spielfilm „Bucking Fastard“ mit den Schwestern Kate und Rooney Mara hat er gerade abgedreht, er befindet sich in der Post-Produktion. Herzog erläuterte im Gespräch mit Albert Serra, dass ihn die beiden Star-Schauspielerinnen unabhängig voneinander treffen und kennenlernen wollten. „Danach haben sie dann beide auch unabhängig voneinander entschieden, dass sie mir vertrauen und wir den Film zusammen machen können“, so Herzog. Bei den Dreharbeiten selbst sei es dann allerdings zu einem kleinen Eklat mit dem männlichen Hauptdarsteller Orlando Bloom gekommen, weil für Herzog dessen einziger großer Monolog im Film bereits nach dem ersten Take im Kasten war. Bloom wollte dies einfach nicht akzeptieren und beharrte schließlich darauf, die Szene noch einige weitere Male spielen zu können. Am Ende habe Herzog dann aber doch die erste Fassung komplett für den Film verwendet. „Man muss an sich selbst glauben und an das, was man tut“, resümierte der Filmemacher, was ihm am Ende des Werkstattgesprächs im Filmpalast Standing Ovations einbrachte.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Stimmen für Veränderung
„How to Build a Library“ im Filmforum – Foyer 09/25
Eine sympathische Bruderkomödie
„Ganzer halber Bruder“ im Cinedom – Foyer 09/25
Jung-Bäuerinnen bei der Arbeit
„Milch ins Feuer“ im Odeon – Foyer 08/25
Im Abschiebegefängnis
„An Hour From the Middle of Nowhere“ im Filmhaus – Foyer 06/25
Über die Todesangst
„Sterben ohne Gott“ im Filmhaus – Foyer 03/25
Mit Trauer umgehen
„Poison – Eine Liebesgeschichte“ im Odeon – Foyer 02/25
Bittersüße Dystopie
„Ein schöner Ort“ in der Aula der KHM – Foyer 01/25
Zeit-Fragen
Symposium der dokumentarfilminitiative im Filmhaus – Foyer 01/25
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Alles für die Musik
Publikumspremiere von „Köln 75“ im Cinenova – Foyer 03/25
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24