Familienfeste sind in der bürgerlichen Dramatik ein willkommener Anlass für bühnenwirksames Hauen und Stechen. Irgendjemand hat mit irgendeinem Verwandten immer eine Leiche im Keller, die man ausgraben kann – während in der Realität Familientreffen meist in größter Langeweile absolviert werden. Bereits zum Klassiker avanciert ist „Das Fest“ von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov, der 1998 eigentlich als Film herauskam, den sich die Bühnen aber sofort gekrallt haben. Familienpatriarch Helge Klingenfeld-Hansen, Vater von vier Kindern, feiert seinen 60. Geburtstag und hat zur Feier eingeladen. Wie ein Schatten hängt allerdings noch der Selbstmord der Tochter Linda über der Familie. Doch, so hat es Thomas Vinterberg mal auf den Punkt gebracht, die Familie überdauert alles, sie ist der Ort des Verbrechens wie der Liebe und sie kann alles verdrängen, nur um als Institution standzuhalten. In einer an Ibsen erinnernden Dramaturgie zerrt das „Fest“ die Gespenster an die Oberfläche. Lindas Zwillingsbruder Christian gibt eine Geschichte mit dem Titel „Wenn Vater ins Bad wollte…“ als Gratulationsrede zum Besten, die die Grundfesten des Geburtstags erschüttert – nichtsdestotrotz trifft man sich am nächsten Morgen zum Frühstück…
In Bonn setzt Volker Lösch sein dokumentarisches Theater fort und nimmt sich diesmal das Theater selbst vor. Gemeinsam mit Christiane Lang holt er die Frauenfiguren der Literaturgeschichte auf die Bühne, die vergewaltigt, ermordet, geschändet wurden; die sich erstechen, sich ertränken, in die Tiefe stürzen – von Antigone über Lucretia bis zu Ophelia. All diese Figuren sind nur Fiktion, allerdings eine männliche. Doch das auf der Bühne errichtete „House of Horror“ stellt die Frage, ob diese literarischen Abbilder etwas mit den getöteten, vergewaltigten, verstümmelten, geschlagenen Frauen der Realität zu tun haben könnten. Nimmt man die Kriminalstatistik von 2017 zu Hilfe, dann waren von 455 getöteten Menschen 364 Frauen. 141 Frauen starben durch ihren Partner, 113 965 wurden Opfer partnerschaftlicher Gewalt, von Stalking bis zu schwerer Körperverletzung. Volker Lösch und Christine Lang fragen nach dem Zusammenhang zwischen Literatur und Realität und stellen den Stücktexten Erzählungen und Texte Bonner Bürgerinnen gegenüber.
„Das Fest“ | R: Charlotte Sprenger | 3. 17., 18., 21.5. je 20 Uhr, 5.5. 18 Uhr | Theater der Keller | 0221 31 80 59
„House of Horror“ | R: Volker Lösch | 24., 31.5. 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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