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Volker Lippmann in Hassliebe mit seinem Kontrabass vereint
Foto: Katja Sindemann

Biedermann im Bademantel

25. April 2017

Süskind-Stück „Der Kontrabaß“ im Theater Tiefrot – Bühne 04/17

Die grauen Haare glatt an den Kopf geklatscht, eckige Beamtenbrille im Gesicht, die weiße Baumwollripp-Unterwäsche von einem abgewetzten Bademantel bedeckt, darunter die nackten Waden in braunen Socken – so gibt Theaterleiter Volker Lippmann den alternden Kontrabassisten in dem gleichnamigen Einakter von Starautor Patrick Süskind. Und er tut es mit Verve, Emotion, Ausdruck und Schmackes. „Zu dem Stück bin ich wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Vor 25 Jahren hat Hansgünther Heyme, früherer Leiter der Städtischen Bühnen in Köln, zu mir gesagt: ‚Das musst du spielen‘. Wir haben es in Stuttgart, wo Heyme anschließend Intendant war, aufgeführt. In Köln kann ich es erst jetzt spielen, weil es zuvor zwölf Jahre lang am Theater im Bauturm lief. Das schlägt sich jetzt leider in den Besucherzahlen nieder“, erklärt uns Lippmann. „In Süskinds Buch ist der Protagonist 35 Jahre – ich bin 65. Wir haben uns dann auf 55 geeinigt. Inzwischen ist der Text zeitlos.“

Der verbeamtete Staatsorchestermusiker sitzt in seiner schallgedämmten Wohnung – der Kontrabass demonstrativ am Boden – und lamentiert erregt über Intima der Kontrabasskunde und -geschichte. Dass es früher drei-, vier- und fünfsaitige Kontrabässe gab. Dass sich der Viersaitige im 19. Jahrhundert durchsetzte. Dass der italienische Komponist Luigi Cherubini in Paris den Kontrabassunterricht förderte. Dass Mozart ein völlig überschätzter Komponist war. Und Wagner, dessen Partituren voller Fehler stecken, sowieso. Zwischen seinen wutgetränkten Monologen taucht immer wieder die Verehrung der jungen, schönen Sopranistin Sarah auf, die der Frustrierte jedoch nicht anzusprechen wagt. „Es ist diese Verzweiflung, die so viele Menschen kennen“, antwortet Lippmann auf unsere Frage nach dem Erfolg des Stücks. „Viele sind am Arbeitsplatz unbefriedigt und froh, wenn sie abends nach Hause gehen können. Viele sind verzweifelt, weil sie nicht beachtet werden, in der Masse untergehen. Viele kennen diese verzweifelte Liebe zu einer Frau. Die Leute sehen das Stück jedenfalls sehr gern.“

Zwischendurch ertränkt der Musiker seinen Frust am prall mit Alkohol gefüllten Kühlschrank. Und während er sich in Phantasien ergeht, seine Angebetete in ein teures Fischlokal auszuführen, schlingt er einen sauren Hering aus der Hand hinunter. Seine schwankenden Emotionen reagiert er am Kontrabass ab, den er wie ein lebendes Wesen behandelt. Seinem Beruf, dem Orchester samt Dirigenten, steht er ablehnend gegenüber. Parallelen zu Eigenbrötler Süskind, der mit seinem Roman „Das Parfüm“ Weltruhm erlangte, sich aber den Erwartungen des Literaturbetriebs verweigerte, indem er Premieren fernblieb, Preise ablehnte und Interviews verweigerte, drängen sich auf. „Ich habe Süskind leider nicht kennengelernt, aber meist findet man Autobiografisches in einem Text. Im ‚Parfüm‘ geht es um Sehnsüchte, die Kämpfe im Leben“, so Lippmann. „Für mich ist Theaterspielen eine Offenbarung. Es hat etwas von Psychotherapie. Indem ich verschiedene Rollen spiele, befreie ich mich gleichsam von Problemen. Und gehe glücklich nach Hause.“

Ob der einsame Kontrabassist letztlich das Glück mit seiner heimlichen Liebe findet, bleibt offen. Seinem Plan, in einer Galapremiere vor erlauchtem Publikum laut ihren Namen zu schreien und damit den Rauswurf aus dem Orchester zu riskieren, um ihre Aufmerksamkeit zu erringen, muss man mit Skepsis begegnen. „Süskind lässt offen, ob er schreit. Wahrscheinlich nicht“, überlegt der vielgeehrte Schauspieler. „Es geht um die Frage der Befreiung. Im Leben ist man permanent mit Angst konfrontiert. Diese Angst muss man bekämpfen, das ist eine Lebensaufgabe.“ Die Aufgabe, den eineinviertelstündigen Monolog samt Höhen und Tiefen überzeugend rüberzubringen, meistert Volker Lippmann jedenfalls hervorragend. Und das Publikum dankt ihm mit kräftigem Applaus. Gelegenheiten, ihn als mit sich selbst ringenden Kontrabassisten zu sehen, gibt es jedenfalls noch einige.

„Der Kontrabaß“ | 10., 20.5. 20.30 Uhr, 4., 5.6. 19.30 Uhr | Theater Tiefrot | 0221 460 09 11

Katja Sindemann

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