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Die Britney X-Kuratoren Matthias Köhler, Andrea Imler,
Pınar Karabulut und Charlotte Sprenger
Foto: Schauspiel Köln

„Alles, was von patriarchalen, hetero-normativen Etiketten abweicht“

16. März 2017

Matthias Köhler und Pınar Karabulut über das Festival Britney X – Festival 03/17

Die Außenspielstätte am Offenbachplatz des Schauspiel Köln lädt zu Britney X ein, einem viertägigen Theater-, Musik- und Polit-Festival über Gender, Feminismus, Diversity und Sex. Die von vier Kuratoren geführte Dependance verwandelt sich vom 23. bis zum 26. März zu einer Schnittstelle von Kunst, Medien und Identitäten. Ein Gespräch mit den zwei Kuratoren Pınar Karabulut und „Swallow“-Regisseur Matthias Köhler.

choices: Matthias und Pınar, ihr wart drei Jahre Regieassistenten am Schauspiel Köln, jetzt seid ihr bereits einige Monate Kuratoren der Außenspielstätte am Offenbachplatz, kurz Britney. Wie hat sich euer Verhältnis zum Haus verändert?

Pınar Karabulut: Es ist immer noch Familie. Wir sind hier quasi großgeworden, wir sind jetzt auf jeden Fall nicht mehr die Küken. Es ist sehr schön, dass es immer noch die gleiche Basis ist, die gleichen Leute, mit denen wir weiter zusammenarbeiten können. Wir sind froh, dass wir in der Halbzeit unseres Britney-Kuratoriums dieses Festival veranstalten können, wo wir alle Themen behandeln können, die uns die ganze Spielzeit über beschäftigen. Deshalb sind es für uns wahnsinnig wichtige vier Tage und es ist toll, dass die Theater-Leitung sagt: „Das sind eigentlich nicht unsere Themen, aber das sind eure Themen, und deswegen stehen wir dahinter.“

Matthias Köhler: Zusätzlich bringen wir durch die drei Assistenz-Jahre ein Vertrauen mit, aber es herrscht gleichzeitig durch den Einzug ins Haus ein gewisser Erwartungsdruck.


Performance „Kassettenmädchen“ von Pandora Pop, Foto: Michael Wüst

Wie hat sich das Britney entwickelt und in welchem Zusammenhang steht es mit dem Kölner Kulturleben?

PK: Es sind absolut positive Entwicklungen. Wir sind sehr glücklich, wie das Britney angenommen wird!

MK: Und auch ein bisschen stolz! Wir haben am 29. September angefangen, wir sind jetzt sechs Monate da, und dafür, dass wir einen Ort in der Innenstadt haben, der komplett tot und begraben ist, und auch um uns herum auch eigentlich nicht so viel passiert, sind wir stolz darauf, dass wir es überhaupt geschafft haben, diese Location zu etablieren. Gleichzeitig haben wir einen Charakter, wenn nicht sogar eine kleine Identität entwickelt, die wir mit dem Festival nochmals bündeln und ausdrücken wollen. Aber auch mit anderen Kulturstätten, vor allem der Kölner Off-Szene, bemühen wir uns in Kontakt zu bleiben. Wir wollen nicht hochnäsig subventioniert in diesen Glaskasten einziehen. Deswegen arbeiten wir auch mit der KHM und dem King Georg zusammen und versuchen, die ganze freie Kölner Szene zu uns zu holen.

PK: Es ist toll, dass das ganze Programmspektrum angenommen wird. Das Publikum bleibt gerne nach den Theater-Vorstellungen und hört sich eine Lesung mit einem jungen Autor an.

MK: Zudem erfüllen wir auch eine extrem wichtige Aufgabe für die Bühnen Köln, dass wir andere Zielgruppen ansprechen und näher an das Theater bringen.

Was ist Britney X ... in 140 Zeichen?

MK: Schwierig… (nimmt sich Visitenkarte, leiert Text im Nachrichtenton runter) Britney X ist das viertägige Theater-, Musik- und Polit-Festival über Gender, Feminismus, Diversity und Sex am Offenbachplatz. Euch erwarten Lectures, Workshops, Theater, Konzerten, Performances und Partys. (lachen)

Und ausführlicher?

MK: Man muss unbedingt mehr als ein paar Sätze dazu sagen, sonst tut man den einzelnen Punkten untereinander weh. X steht für eine Variable, die für alles gilt, was von patriarchalen, hetero-normativen Zuschreibungen oder Etiketten abweicht. Das schließt Geschlechtlichkeiten, Diversity, auch Migrationshintergründe und somit auch xenophobe Ansätze unserer Gesellschaft und viele weitere verschiedene Formen mit ein. Die stehen im Zusammenhang mit dem X, da wir trotzdem alle, samt dem Patriarchat, in unserer Gesellschaft unter einen Hut müssen.


Matthias Köhler und Pınar Karabulut, Foto: Alena Struzh

PK: Wir selber sind immer auf der Suche nach einer Definition. Müssen wir denn immer alles erklären? Muss ich dieses X füllen? Können wir nicht einfach sagen: „Lasst uns eine große Familie oder Community sein und darauf verzichten zu definieren?“ Jede Definition ist gleichzeitig auch eine Trennung, ein Ausschluss einer anderen Gruppe. Deswegen ist es sehr schön, nicht wirklich zu wissen, was dahintersteckt, was es ist, und müssen wir dieses Rätsel überhaupt lösen? Oder wollen wir es nicht gerade so lassen?

MK: Von männlichen Wunschprojektionen bis hin zu dem Druck auf Jugendliche, die sich im Mainstream verlieren, Lectures über Körperideale, feministisches Theater – jedes dieser Themen würde ein eigenes viertägiges Festival verdienen, das könnte man auch gut mit entsprechenden Inhalten füllen. Aber genau weil wir uns als Community, als Familie sehen müssen, wollen wir einen riesengroßen Strauß an Themen anbieten. Und wir nehmen dabei auch in Kauf, dass es auch dazu führen kann, dass sich verschiedene Strömungen und künstlerische Positionen untereinander auch mal ein Stück weit widersprechen. Aber das ist auch eine Aufgabe für uns als Kuratoren, diese miteinander in Spannung zu setzen.

PK: Deswegen haben wir für dieses Festival die Gruppe Pandora Pop mit ihrem „Mixtape“ ins Boot geholt. Sie werden das Festival begleiten und in den vier Tagen nach jeder Veranstaltung performative Interviews führen und die Zuschauer befragen, was sie daraus mitgenommen haben. Am Ende des Festivals gibt es eine Präsentation dieser Performance im Foyer. So haben wir ein wunderschönes Feedback und kriegen sofortige Resonanz, was eigentlich hängen geblieben ist, aber auch was verloren gegangen ist oder was man nicht verstanden hat.


Lecure-Performance „Don't Worry Be Yoncé“ von Pony Camp, Foto: Julia Willms

Ihr habt euch auf Themen spezialisiert, die in unserer Gesellschaft höchstens toleriert werden, über die aber nicht genug gesprochen wird.

PK: Ich finde es sehr interessant, dass die Kunstszene generell, vor allem aber die deutsche Theaterszene, sich sehr offen präsentiert und betont, wie cool sie mit marginalisierten Themen umgeht. Das stimmt aber absolut nicht. Wir haben diesen besonderen Ort, der selbst schon eine Geschichte hat, und jetzt füllen wir das mit noch mehr Geschichten und bauen ein Festival drumrum. Trotzdem fehlen vorne und hinten Gelder, zudem ist es uns sehr wichtig Künstler einzuladen, die nicht die Möglichkeit haben, an großen Häusern zu spielen. Natürlich haben wir auch Mithu Sanyal da, sie ist schon recht bekannt, eines unserer Highlights ist auch das Gastspiel „Feygele“ vom Maxim-Gorki-Theater, das sich um einen jüdischen, homosexuellen, wunderschönen Mann dreht. Aber trotzdem ist es so, dass, auch wenn diese Themen toleriert werden, sie noch nicht im alltäglichen Leben angekommen sind.

MK: Auf der anderen Seite ist es auch so, dass die Diskussion und Auseinandersetzung schon im Vorfeld stattfindet. Es passiert immer noch, dass Zuschauer, aber auch Mitarbeiter der Bühnen Köln auf mich zukommen und fragen: „Warum macht ihr das?“ Das kann ich auch nicht jedem zum Vorwurf machen, das bedarf einer gewissen Beschäftigung und Auseinandersetzung damit. Das ist natürlich eines der Ziele des Festivals, nicht nur den Künstlern, die sich darin schon auskennen, eine Plattform zu bieten, sondern dass wir auch ein bisschen mit Halbwissen aufräumen.

PK: Vor allen Dingen auch nicht zu vergessen. Deswegen ist unsere Festival-Farbe neongelb, sodass man es nicht übersehen kann und hinguckt und dabei ist.

In Zeiten von „pussy-grabbing“, aber auch dem ersten Land, das gleiche Löhne für Männer und Frauen per Gesetz eingeführt hat, wo seht ihr Britney, wo das Theater, wo Köln?

MK: Vielleicht beantwortet das die Frage von ein bisschen hintenrum. Der Name Britney ist ja auch nicht zufällig gewählt. Das ist natürlich ein Augenzwinkern von uns. Wir wollen darin eine Lady sehen, gleichzeitig ein Schiff, das auf eine Reise geht, oder auch die Populärkultur und so weiter. Der amerikanische Präsident hat den weißen Männern versprochen, ihnen ihre Identität zurückzugeben. Das sind die Leute, die glauben, wenn andere Gruppen erstärken, oder gleichberechtigt werden, dass ihnen etwas genommen wird, und somit auch ihre Identität. Britney ist deswegen so knallig und plakativ, um genau gegen diese These zu halten.

PK: Das Schöne an dem Standort Köln ist, dass wir so gut geographisch angebunden sind. Das ist ein totaler Unterschied zu meinem früheren Wohnort München, das ist eine Burg mit Wassergraben drumherum. Die Einflüsse von den Nachbarländern und ganz NRW, egal in welchem Spektrum, kriegt man hier auf eine besondere Weise mit. Deswegen hat Köln etwas wahnsinnig Internationales und Offenes, was man an der rheinischen Mentalität ganz gut merkt.

Und habt ihr persönliche Empfehlungen?

PK: Alles! Holt euch einen Festivalpass und zieht euch alles rein! (lacht) Wir stehen aber wirklich hinter allen Einladungen, das Spektrum ist gefüllt. Sei es auch die erste Stunde Yoga, oben auf der wunderschönen Empore, oder die Performance, wie du Beyoncé werden kannst.

MK: Der Mix ist tatsächlich das Besondere. Natürlich, wenn man auf das volle Programm guckt, hat man persönlich ein paar Zuneigungen, aber vor allem die Mischung, der Kontrast macht’s! Man fängt mit dem Yoga an, dann vielleicht eine anspruchsvolle Lecture, wo man das Gehirn anschalten muss, dann haben wir aber auch Partys, wo du dich auch einfach freimachen kannst. Man kann partizipieren im Drag-King-Workshop, du kannst aber auch einfach zugucken im Theater.

PK: Man darf lachen, man darf weinen, man darf sich streiten und vor allen Dingen tanzen!

Britney X | 23.-26.3. | tägl. ab 15 Uhr | Webseite | 0221 22 12 84 00

Interview: Alena Struzh

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