Fast 20 Jahre hat es gebraucht, bis dieses Buch in Deutschland erscheinen konnte. Hierzulande wurde Rachel Cusk durch ihre Trilogie „Outline“, „Transit“ und „Kudos“ bekannt. Faszinierende Romane, in denen eine Erzählerin unterschiedlichen Menschen in England begegnet, deren Lebenssituationen sie schnell und packend entfaltet. Jetzt erscheint dieses widerständige, unversöhnliche, ja provokante „Lebenswerk“ vergangener Tage. Ein Buch über das Drama der Mutterschaft, wie es noch keine Frau geschrieben hat.
Zunächst trifft sie die Nachricht, schwanger zu sein, vollkommen unvorbereitet. Immer zwischen Schuldgefühlen zerrissen zu sein – auf der einen Seite das Wohl des Kindes im Auge zu behalten, auf der anderen einen Verrat am eigenen Selbst zu begehen, in dem man alle Ambitionen als berufstätige Person aufgibt – bedeutet, ein Leben im Extremzustand zu führen. So liest sich auch das Buch. Hier geht es immer um alles. So bemerkt sie schon während der Schwangerschaft, dass niemand sie auf das schmerzhafte Drama der Geburt vorbereitet. Ein Schweigen, das generationsübergreifend funktioniert, bzw. von säuselnden Beschwichtigungen der Ratgeberliteratur flankiert wird: „Das Baby wird in eine friedliche Atmosphäre der Zeitlosigkeit hineingeboren“, heißt es da etwa.
Ihr entgeht nicht, wie jungen Müttern von überall her Bevormundung, Drohung und Herablassung entgegen schlägt. Gesellschaften belegen Geburt und Aufzucht der Kinder mit Tabus und Klischees. Denn im Umgang mit der Geburtssituation spiegelt sich das Menschenbild einer jeden Gesellschaft, und diese Deutungshoheit will sie nicht an die Realität der Frauen abgeben. Rachel Cusk reflektiert hellwach diese allseits akzeptierte Ideologie. Sie beschreibt das Inferno schlafloser Nächte und die Panik, die unerklärliches Babyschreien bei einer Mutter auslöst. „Lebenswerk“ ist kein Buch, in dem über die Ungerechtigkeiten der Mutterschaft gejammert wird. Es liest sich mitreißend, weil Cusk so intelligent und humorvoll die Bilder zu ihren Erfahrungen entwirft. Stellenweise ist es brillante Literatur, wenn sie etwa beschreibt, was eine Frau in der Gemeinschaftsumkleide eines Schwimmbads sieht und denkt. Politische Ambitionen hegt Rachel Cusk nicht, vielleicht wirkt ihr persönliches Protokoll auch deshalb so lesenswert und brisant. Die 20 verstrichenen Jahre seines Erscheinens haben daran rein gar nichts geändert.
Rachel Cusk: Lebenswerk | A. d. Engl. v. Eva Bonné | Suhrkamp Verlag | 224 S. | 22 €
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