„I’m here“, singt Rebecca, doch so richtig will man das nicht glauben: Ihre Stimme verliert sich im Echo, ihr Körper zuckt, sie hat sich eine Glasscherbe durch die Wange gebohrt – alles aus enttäuschter Liebe. Samantha dagegen will nie wieder Samantha sein. Sam eher. Sie/Er trägt ein Männerhemd über der Hose und stopft sich Socken als Schwanzersatz in die Hose. Anna wiederum hält Frischluft für „überbewertet“ und hat sich seit zwei Jahren in ihrer Wohnung verbarrikadiert. Sie hockt autistisch auf der Plattform eines Brettergerüsts mit Graffitiwand (Bühne: Elke Auer) und macht ironische Bemerkungen.
Stef Smiths eindrückliches Stück „Swallow“ versammelt drei Frauen, die sich in ihren Käfigen aus Angst, Verletzung, Schmerz, Selbstentfremdung oder Wut eingerichtet haben bzw. einen Ausweg daraus suchen. Man merkt deutlich den Einfluss der früh verstorbenen Sarah Kane und ihrer Analyse einer von Gewalt durchzogenen Gesellschaft – nur dass Stef Smith sich weniger für Schuldzuweisungen an die Gesellschaft als für ein Psychoseismogramm dreier Frauen interessiert. Ganz behutsam lässt sie die drei Frauen in Kontakt miteinander treten. Wie Sam und Rebecca vorsichtig Nähe zulassen und kleine Notlügen als Schutzmechanismen einbauen – das ist berührend.
Magda Lena Schlott als Sam singt ein Lob auf das Brüste abschnürende Gafferband und tastet sich mit knappen, kurzen, werbenden Repliken in ein männliches Muster vor, während die depressive Rebecca von Ines Marie Westernströer mal tobt, dann wieder hinter einem emotionalen Paravent agiert. Nicola Gründel als Anna sortiert Rigipsstücke und steigert sich allmählich in eine absurde Katastropenverantwortung, nicht ohne erste Kontakte mit Rebecca durch den Briefkastenschlitz zu knüpfen. Ohne in Kitsch zu verfallen, zeigt sich so am Ende auch ein ganz alltäglicher Hoffnungsschimmer. Regisseur Matthias Köhler gelingt mit den drei Schauspielerinnen am Offenbachplatz ein beeindruckender und berührender Abend, der nur gelegentlich unter einem allzu angestrengten musikalischen Kunstwillen (Musik: Antonio de Luca) leidet.
„Swallow“ | R: Matthias Köhler | Do 16., Sa 18.2. 20 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
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