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Felix Ekardt
Foto: privat

„Wir reden uns das Ganze schön“

30. November 2017

Felix Ekardt über die Herausforderungen eines nachhaltigen Lebensstils – Thema 12/17 Prima Klima

choices: Herr Ekardt, wir sägen mit unserem Lebensstil an dem Ast, auf dem wir sitzen. Warum fällt es uns so schwer, nachhaltiger zu leben?
Felix Ekardt: Viele denken, es würde am Wissen scheitern, das stimmt aber nur begrenzt. Die, die am meisten wissen, haben tendenziell den größten ökologischen Fußabdruck.  Menschen sind häufig von Eigennutzenkalkülen getrieben, Politiker wollen kurzfristig wiedergewählt werden, Unternehmer wollen ihre Produkte absetzen. Wir alle wollen hier und heute unser Leben leben. Da sind der Klimawandel oder Nachhaltigkeitsziele zeitlich weit weg.

Wir handeln also bewusst wider besseren Wissens?
Was oft vergessen wird: Menschen entscheiden nicht immer bewusst und kalkulierend. Ein Großteil unserer Verhaltensantriebe ist uns wenig oder gar nicht bewusst. Das betrifft etwa unsere Normalitätsvorstellungen. Ein Lebensstil mit der täglichen Autofahrt zur Arbeit, regelmäßigen Urlaubsflügen und einem großen Stück Fleisch ist in Ländern wie Deutschland normal. Dazu kommen unsere Emotionen: Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung. Eine Rolle spielt auch die menschliche Neigung, mit dem Widerspruch zwischen Einstellungen und Verhalten zu leben. Wir reden uns das Ganze schön, fühlen uns in Europa und Deutschland als Umweltvorreiter, dabei sind wir genau das Gegenteil.

Von wem geht Wandel aus?
Gesellschaftlicher Wandel geschieht immer in einem Wechselspiel verschiedener Akteure. Ob man jetzt in erster Linie eine andere Politik, ein anderes Konsumentenverhalten oder anders investierende Unternehmen braucht, ist eine Henne-Ei-Diskussion. Bestimmte Emotionen werden sich wohl nie ändern, aber Normalitätsvorstellungen können sich wandeln. Es muss nicht so sein, dass alle meine Facebook-Freunde jährlich nach Malaysia fliegen, ganz andere Normalitäten sind denkbar.

Und wie verändert man diese Normalitätsvorstellungen?
Eigennutzenkalküle sind variabel, indem man die Rahmenbedingungen verändert: Werden fossile Brennstoffe teurer, fliegt man seltener in Urlaub. Aber Achtung: Wir können eine Regierung, die so etwas einführt, natürlich jederzeit abwählen. Insofern muss man auch Leute haben, die Druck machen in Richtung einer solchen Politik. Ein politischer Rahmen erleichtert es dem Individuum aber, sich in die richtige Richtung zu bewegen.

Individuelle und gesellschaftliche Ebene lassen sich nicht klar trennen?
Das ist ein alter Streit in der Wissenschaft. Die Gesellschaft besteht aus Individuen, gesellschaftliche Strukturen sind von Menschen erfunden und werden durch sie permanent am Laufen gehalten durch Konsum- oder Wahlentscheidungen. Wir könnten ja auch eine Partei wählen, die eine staatliche Planwirtschaft in Deutschland einführen will. Bei den das Verhalten antreibenden Faktoren kann man nicht sinnvoll zwischen Mikro- und Makroebene unterscheiden.

Was kann ich als Individuum tun?
Die großen Stellschrauben sind: der Verzehr tierischer Produkte, Autofahren, Wohnungsgröße und – besonders fatal, gerade bei jungen, grün eingestellten Leuten –  das viele Fliegen. Auf absehbare Zeit werden wir nicht mit Solar- oder Windstrom fliegen und daher weiterhin stoffliche Energieträger benötigen. Und Bioenergie kann wegen der Umweltfolgen nur in geringen Mengen bereitgestellt werden. Es geht also knallhart darum, viel weniger zu fliegen.

Das fühlt sich für den Einzelnen aber an wie ein Tropfen auf den heißen Stein. 
Das Klima ist ein Kollektivgut, das niemand allein retten kann, und wir alle stecken in Pfadabhängigkeiten. Das führt dazu, dass individuelles Handeln zusätzlich erschwert wird. Wir brauchen gemeinsames Handeln und politische Rahmenbedingungen, die man aber erkämpfen muss. Bloß wählen zu gehen reicht dafür nicht aus. Die repräsentative Demokratie erfordert, dass ich mich in Vereinen, in der Nachbarschaft, Verbänden, auf Demonstrationen aktiv einbringe.

Kriegen wir die Umweltprobleme nicht auch ohne Verzicht, z.B. durch technologischen Fortschritt, in den Griff?
Selbst wenn der Klimawandel rein technisch bekämpfbar wäre, setzt sich Technik gesellschaftlich nicht von alleine durch. Wir haben keine 100 Prozent Windstrom in Deutschland, obwohl es technisch möglich wäre. Unabhängig davon wird Technik alleine gar nicht ausreichen. Artikel 2 des Pariser Klimaabkommens von 2015 schreibt völkerrechtlich verbindlich vor, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad, besser noch 1,5 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau zu begrenzen. Das erfordert global Nullemissionen innerhalb von zehn bis zwanzig Jahren. Bei allem, was wir über technische Innovationsgeschwindigkeiten wissen, ist es sehr unwahrscheinlich, das rein technisch zu erreichen. Wir werden auch Genügsamkeit, sprich Suffizienz, dazu benötigen. Das heißt: Nicht nur technisch smarter Autofahren, sondern weniger Autofahren.

In Ihrem Buch „Wir können uns ändern“ heißt es oft: „Wichtig, aber überschätzt“ in Bezug auf den Einfluss von Faktoren auf menschliches Verhalten. Welche Faktoren sind für eine Verhaltensänderung wichtig?
Wichtig ist die Vielfalt der Faktoren. Wissen ist wichtig, aber Eigennutzenkalküle auch. Werte sind wichtig, aber Normalitätsvorstellungen, Emotionen, Kollektivgutstrukturen und Pfadabhängigkeiten auch. Wichtig ist, das Wechselspiel der Akteure zu sehen und zu realisieren, dass bestimmte Faktoren sich ändern, andere dagegen nicht.

Sind politische Abkommen wie das Pariser Abkommen von 2015 auch überschätzt oder wichtig? 
Ein zentrales Element gesellschaftlichen Wandels sind politisch-rechtliche Vorgaben. Also auch globale Vorgaben zum Klimaschutz. Klima ist ein globales Problem, das ich nicht auf Kölner, NRW- oder deutscher Ebene lösen kann. Wenn ich in Deutschland die Treibhausgasemission radikal reduziere und die fossilen Brennstoffe bei Strom, Wärme, Treibstoff und stofflichen Nutzungen wie Dünger aus dem Markt nehme, könnten die Emissionen in andere Länder umziehen. Wir würden dann noch mehr Stahl, Futter-, Lebens- und Düngemittel aus anderen Ländern importieren. Deswegen brauchen wir den fossilen Ausstieg global. Oder in einer Koalition williger Staaten mit Schutzmechanismen gegenüber unwilligen Staaten.

Wird das Pariser Abkommen nachhaltige Veränderungen bewirken?
Das Pariser Abkommen geht mit seiner Zielsetzung in eine klare Richtung. Bei den konkreten Maßnahmen bleibt das Abkommen aber weitgehend undeutlich. Den einzelnen Ländern ist im Grunde freigestellt zu entscheiden, wie viel sie beitragen. Das ist komplett widersprüchlich. Man müsste international die fossilen Brennstoffe in zehn bis zwanzig Jahren aus dem Markt nehmen. Zum Beispiel durch ein Mengenbegrenzungssystem. Das existiert mit dem EU-Emissionshandel bereits, hat aber eine viel zu lasche Mengengrenze, viel zu viele Altzertifikate und deckt auch nur die Hälfte der fossilen Brennstoffe ab. Das könnte man jedoch ändern.

Wenn die notwendigen Maßnahmen umgesetzt werden, wie wird das unsere Art des Wirtschaftens verändern?
Wenn man nicht nur auf technische Lösungen, sondern auch auf Genügsamkeit beim Klimaschutz setzt, bedeutet das wahrscheinlich das Ende der Wachstumsgesellschaft. Neue Technik kann man verkaufen, Genügsamkeit heißt: weniger kaufen. Es wäre ein völlig anderes Wirtschaften als bisher. Manche glauben, das sei erstrebenswert, und die Menschen würden dann alle viel glücklicher sein. Das kann man so aus der Glücksforschung aber nicht ableiten. Menschen sind häufig glücklicher, wenn sie mehr haben als andere. Wir sollten uns darauf einstellen, dass es nicht jedem gefallen wird, wenn materielle Grenzen gesetzt werden.

Verliefe der Übergang in eine solche Postwachstumsgesellschaft komplikationslos?
Es gäbe gesamtgesellschaftliche Folgeprobleme. Soziale Systeme wie der Arbeitsmarkt, das Rentensystem oder die Staatsverschuldung hängen bisher am Wachstum. Da braucht es Konzepte für den Übergang und Alternativen, wie es danach weitergehen könnte. Postwachstumsfans haben dazu bisher wenig beigetragen. Genau wie der ökonomische Mainstream, der sich für das Thema einfach nicht interessiert und behauptet, in der gesamten Menschheitsgeschichte hätte es immer Wachstum gegeben und so werde es auch künftig sein. Das ist schon historisch Unsinn. Es hat bis vor 200 Jahren im Wesentlichen kein Wachstum gegeben, und die Menschheit hat trotzdem existiert.

Wie nachhaltig ist Ihr Lebensstil?
Ich selbst bin seit 24 Jahren Vegetarier, ich fliege nicht in Urlaub und dienstlich nur sehr selten, innerhalb Europas gar nicht. Ich habe keinen Führerschein, kein Smartphone oder Handy, keinen Trockner, kein Tiefkühlfach und wohne prozentual auf vergleichsweise kleiner Fläche. Ich bin auch der Meinung, dass ich ganz viele Dinge einfach nicht brauche, um gute Laune zu haben. In einer postmetaphysischen Zeit haben wir das Problem,  keinen fest vorgegebenen Sinn mehr zu finden. Ich bin überzeugt davon, dass wir diesen Sinn nicht im Kaufen oder Reisen finden werden. Der Wunsch ist nachvollziehbar, aber auch aussichtslos. Gerade alternativ eingestellte Leute erhoffen sich vom Fernweh auch den großen Sinn. Da müssen wir lernen, in eine andere Richtung zu denken.


Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

Aktiv im Thema

umweltbundesamt.de | Die zentrale Umweltbehörde, die die Regierung mit wissenschaftlicher Expertise versorgt und auch für Bürger viele Infos anbietet.
klimafolgenonline.com | Auf Basis verschiedener Parameter hier Folgen des Klimawandels für Deutschland nachvollzogen und simuliert werden.
reset.org | Das Portal verbreitet digital basierte Innovationen, die zur Nachhaltigkeit menschlichen Lebens und Konsums beitragen.

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Interview: Maxi Braun

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