Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 31
1 2 3 4 5 6 7

12.554 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

„Erschlagt die Armen!“
Foto: Meyer Originals

Weinflaschen-Attentat

24. November 2016

„Erschlagt die Armen!“ am FWT – Theater am Rhein 12/16

Der Mann und die Frau bedrängen die Dolmetscherin so lange, bis sie in der Sandwich-Position festhängt; sich sogar wie ein Schutz suchendes Kind in deren Schoß zu einer Pietà zwingen lässt. Schluss mit dem Selbstbewusstsein. Schluss mit der Souveränität. Die migrantische Dolmetscherin ist wieder zur Unterworfenen geworden. Daniel Kuschewskis Inszenierung konterkariert damit vordergründig die Handlung des Romans der indischstämmigen Autorin Shumona Sinha.

„Erschlagt die Armen!“ beginnt eigentlich damit, dass die Dolmetscherin einer Pariser Migrationsbehörde einem Asylsuchenden eine Weinflasche über den Schädel haut. In der Untersuchungshaft denkt sie über das Lügen produzierende Asylsystem nach und begreift, dass sie selbst nach Jahren der Assimilation immer noch eine Fremde ist. Ein Prozess der unfreiwilligen Distanzierung. Was eigentlich als Monolog angelegt ist, wird im Freien Werkstatt Theater zu einer Art Imaginationsraum, in dem zahlreiche Lautsprecher für die inneren Stimmen der Dolmetscherin stehen. Gefüttert werden die Lautsprecher mit den Stimmen der kühlen Lisa Bihl als Frau und Lucas Sánchez als Mann, die allerdings auch die Asylbeamten, den verhörenden Untersuchungsbeamten oder die Asylsuchenden verkörpern. Nina Karimy als Dolmetscherin macht die Verachtung für die Flüchtlinge und ihre Liebe zur Beamtin Lucia durchaus glaubhaft; auch die zunehmenden Zweifel am Asylsystem, das die Flüchtenden zu immer neuen Lügengeschichten zwingt, nimmt man ihr ab. Schuldig bleibt sie dem Zuschauer allerdings gerade die tiefe Verstörung und Irritation über die verbliebene Fremdheit, die sie mit Job, Freund, Kleidung und freier Liebe in Frankreich überwunden glaubte.

Daniel Kuschewsky löst zudem die Monologstruktur auf: Den Kommentaren der Dolmetscherin über Asylverfahren, Migranten und Behörden stellt er Kommentare des Mannes und der Frau zum Verhalten der Dolmetscherin an die Seite. Deren wütender Furor, auch sich selbst gegenüber, wird so plötzlich objektiviert. Die verstörende Ambivalenz des Buches wird so nicht nur weich gespült, sondern sogar teilweise zurückgenommen.

„Erschlagt die Armen!“ | R: Daniel Kuschewski | 17.,18., 29., 30.12. 20 Uhr | Freies Werkstatt Theater | 0228 32 78 17

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Chantal im Märchenland

Lesen Sie dazu auch:

Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24

Das 360-Grad-Feedback
„Fleischmaschine“ am Freien Werkstatt Theater – Prolog 01/24

Das diffamierende Drittel
Einkommensunterschiede in der Kultur – Theater in NRW 12/23

Die fünfte Gewalt
FWT mit neuer Besetzung – Theater am Rhein 11/23

Menschliche Abgründe
„Mister Paradise“ am FWT – Theater am Rhein 11/23

Vorbereitung aufs Alter
„Die Gruppe“ im Freien Werkstatt Theater – Prolog 09/23

Rechtfertigung auf Skiern
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Theater am Rhein 08/23

Groteskes Reenactment
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Prolog 07/23

Muss alles anders?
„Alles muss anders“ am FWT – Theater am Rhein 05/23

Spätes Licht
Studiobühne zeigt „Nachttarif“ – Theater am Rhein 04/23

Sehnsucht nach einer Welt, die einem antwortet
„Alles in Strömen“ am Freien Werkstatt Theater – Auftritt 03/23

Mehr Solidarität wagen
Die Theater experimentieren mit Eintrittspreisen – Theater in NRW 01/23

Theater am Rhein.

Hier erscheint die Aufforderung!