Wer die Wahl hat, hat die Qual: Auf der seinen Seite der Berg der Götter, auf der anderen der Berg der Tiere und zwischen beiden der Mensch, der sehnsüchtig hinaufblickt – nach beiden Seiten. So hat das der Maler Paul Klee einmal beschrieben, und dieser Gedanke bildet den Ausgangspunkt für die Port-in-Air-Produktion „Hardly Still Walking, Not Yet Flying“. Eine Skulptur aus weißen Stühlen steht in der Mitte der ansonsten leeren Bühne. Vier Frauen in Regenmänteln treten auf, bauen den Berg blitzschnell ab. Wer den Gotthardtunnel baut, lässt sich von Göttern und Tieren nicht schrecken. Dann geht es kopfüber in die Sprachspiele des Richard Aczel. Wie immer steht alles auf dem Spiel: Menschsein, Identität, das Sublime als Ausweis eigener Auserwähltheit, auch die Banalität des Alltags. Aus dem simpelsten Wortgeplänkel steigen die Dialoge ins Hochphilosophische und brechen genauso schnell wieder zusammen. Letztlich aber umspielt „Hardly Still Walking…“ wie schon frühere Stücke die Grenze zwischen Bedeutung und Klang der Sprache, den Übergang zwischen Sinn und Bellen.
Das ist sprachlich virtuos und in einer ausgefeilten Choreografie dargeboten, beides entgeht aber nie ganz dem Selbstzweck. Immer wieder drückt sich in den Szenen die reine Mechanik des Darstellerischen durch, das auf nichts verweist als auf sich selbst. Drei Darsteller gesellen sich aus dem Publikum zu den Frauen, schwadronieren vom Rausch, holzen sprachlich herum. Es geht um Flüchtlinge, Nazis, Vernichtung. Der Umgang wird ruppig, Köpfe gebogen, Münder zugehalten. Ein Ehepaar in Badeanzügen verirrt sich in die Szene. So wie der Text sich lustvoll im Niemandsland zwischen Bedeutung und Bedeutungslosigkeit verirrt, so überlagern sich auch die Themen gegenseitig bis zur Austauschbarkeit. Bei aller Virtuosität der Zungen und Gliedmaßen, bei aller Komik, bleibt man etwas ratlos zurück. Das schmälert nicht das Verdienst der Truppe um Richard Aczel, Port in Air ist sicherlich unter den studentischen Theaterinitiativen nicht nur die professionellste, sondern auch die ästhetisch avancierteste.
„Hardly Still Walking, Not Yet Flying“ | R: Richard Aczel | Port in Air | keine weiteren Termine
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„I am present but I don‘t exist“
West Off 2023 in Bonn, Köln und Düsseldorf – Prolog 11/23
„Ein interdisziplinäres großes Theaterhaus für die Stadt“
Die Dramaturgin Stawrula Panagiotaki übernimmt die Leitung der Studiobühne – Premiere 11/23
Metaebene der Clowns
„Clowns“ in der Studiobühne – Theater am Rhein 07/23
„Offen für experimentelle Formen und alles Neue“
Dietmar Kobboldt geht als Leiter der Studiobühne in den Ruhestand – Premiere 07/23
Perforierte Sprachgrenze
Die Studiobühne zeigt „Total“ – Theater am Rhein 05/23
Bedrohliche Fürsorge
„(S)Caring“ an der Studiobühne Köln – Auftritt 05/23
Spätes Licht
Studiobühne zeigt „Nachttarif“ – Theater am Rhein 04/23
Mit Ulrike Meinhof reden
„lieber wütend als depressed“ des Parasites Ensemble – Auftritt 10/22
„Ein Konzeptalbum, das sich mit Köln auseinandersetzt“
Daniel Schüßler über„Shit(t)y Vol.1.“ in der Tanzfaktur – Premiere 09/22
Wurzeln, Muskeln, queere Körper
„Mandragora“ in der Tanzfaktur – Auftritt 08/22
„Ab wann kippt ein freier Geist?“
Constantin Hochkeppel & Collaborators über „Tipping Points“ – Premiere 04/22
Sprungbrett für den Nachwuchs
Festival West Off an der Studiobühne – Prolog 03/22
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Im Höchsttempo
„Nora oder Ein Puppenhaus“ in Bonn – Theater am Rhein 03/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24
Falle der Manipulation
„Das politische Theater“ am OT – Theater am Rhein 02/24
Wiederholungsschleife
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/24
Radikaler Protest
„Ein Mensch ist keine Fackel“ in der Orangerie – Theater am Rhein 01/24
Emotionale Abivalenz
„Sohn meines Vaters“ in Köln – Theater am Rhein 01/24
Übung in Demokratie
„Fulldemo.cracy“ am Studio Trafique – Theater am Rhein 01/24
Welt ohne Männer
„Bum Bum Bang“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 12/23
Was ist hinter der Tür?
„Die Wellen der Nacht …“ in der Orangerie – Theater am Rhein 12/23
Weiter mit der Show
„Von Käfern und Menschen“ am TiB – Theater am Rhein 11/23
Ende der Zivilisation
„Eigentum“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 11/23