choices: Frau Steinbrugger, Sie haben 2011 die erdbeerwoche gegründet. Warum?
Bettina Steinbrugger: Meine Co-Gründerin und ich haben damals in der Nachhaltigkeitsbranche gearbeitet und festgestellt, dass es in fast jedem Bereich eine nachhaltige Alternative gibt. Aber nachhaltige Periodenprodukte waren zum damaligen Zeitpunkt kaum verbreitet. Dieses Thema hat uns nicht mehr losgelassen. Wir haben begonnen zu recherchieren und festgestellt, dass es tatsächlich auch in diesem Bereich nicht nur ein ökologisches, sondern auch einige gesundheitliche Probleme gibt. Wenn da in verschiedenen Tests schon diverse Schadstoffe gefunden wurden und auch wenn man sich die Müllberge ansieht. Wir haben uns dann gefragt: Wie kann es sein, dass wir noch nie darüber nachgedacht haben, woraus diese Produkte bestehen, die wir an einer empfindlichen Stelle des Körpers tragen? Wir konnten uns das nur über die Tabuisierung der Periode erklären. Uns wurde klar, dass selbst in engsten Freundinnenkreisen nicht wirklich darüber gesprochen wurde. Das haben wir zum Anlass genommen, dass wir gesagt haben, das kann und darf eigentlich nicht sein, die Menstruation kann im 21. Jahrhundert kein Tabuthema mehr sein, da muss doch irgendjemand was dagegen tun.
„Das Tabu ist unter Jugendlichen stärker ausgeprägt als unter Erwachsenen“
Was haben Sie dann gemacht?
Gestartet haben wir damals mit unserer Aufklärungsplattform erdbeerwoche.com, wo wir über Menstruation und nachhaltige Periodenprodukte aufklären. Dann haben uns viele Frauen kontaktiert und gesagt: Jetzt, wo ich über die Problematik konventioneller Menstruationsprodukte Bescheid weiß, wo bekomme ich denn nun Alternativen wie Menstruationstassen her? Damit entstand die Idee unseres Onlineshops. Wir haben dann festgestellt, dass das Tabu unter Jugendlichen noch viel stärker ausgeprägt ist als unter Erwachsenen. Das heißt, ein zwölfjähriges Mädchen wird wahrscheinlich nie einen Beitrag über Menstruation liken, wenn in ihrem virtuellen Freundeskreis jemand dabei ist, vor dem sie sich dafür schämen wird. Und dann haben wir überlegt: Wie können wir diese Jugendlichen trotzdem erreichen? Am besten über den Kanal, wo sie selbst nicht rauskommen, nämlich über die Schule, wo sie jeden Tag hinmüssen. So war die Idee von einer digitalen Lernplattform speziell für Jugendliche geboren, die eben auch den aktuellen Lehrplan rund um das Thema Menstruation und Sexualaufklärung ergänzen soll.
Was sind die größten Missverständnisse über die Periode?
Mythen und Missverständnisse gibt es tatsächlich sehr viele. Wir haben in einer Umfrage festgestellt, dass zum Teil Jugendliche gar nicht richtig darüber Bescheid wissen, was Menstruation eigentlich bedeutet. Gerade viele männliche Jugendliche haben zum Beispiel Menstruation mit Masturbation verwechselt. Das ist skurril, wenn man bedenkt, dass das Wort Masturbation, was ja auch so etwas wie ein Fremdwort ist, anscheinend geläufiger und bekannter ist als Menstruation. Aber auch die Mädchen zum Beispiel konnten mit Begriffen wie Zyklus oder Zykluslänge nicht wirklich etwas anfangen. Weiter geht es bei der Nutzung der Produkte, da gibt es auch viel Unwissen unter Erwachsenen. Zum Beispiel wissen viele nicht, wann ein Tampon spätestens gewechselt werden sollte, dass er möglichst nicht die ganze Nacht durchgehend getragen werden sollte. Das geht bis hin zur richtigen Entsorgung von Periodenprodukten, die zum Beispiel nicht in die Toilette geworfen werden sollten. Also da gibt es wirklich ganz viele Missverständnisse auch bei Frauen bzw. Menstruierenden bis ins Erwachsenenalter.
„Viel Unwissen auch unter Erwachsenen“
Warum ist die Periode nach wie vor tabuisiert?
Die Gründe sind mannigfaltig. Das fängt mit der Werbeindustrie an, die ja wirklich über Jahrzehnte versucht hat, uns weiszumachen, dass unser Blut blau ist, also dass wir blau und nicht rot bluten. Man kennt noch aus den TV-Spots diese blaue Flüssigkeit, die in eine Binde rinnt. Es wurde uns immer weisgemacht, dass das eigentlich etwas Schmutziges ist. Dass wir wirklich auf Hygiene-Produkte in Anführungszeichen zurückgreifen sollten, eben Wegwerf-Produkte, also Tampons oder Binden. Daran hat natürlich auch die Industrie ein Interesse, dass immer möglichst viele Produkte monatlich nachgekauft werden müssen. Also die hat sicher sehr viel dazu beigetragen, das zu tabuisieren. Aber das geht natürlich weiter über die fehlende richtige Aufklärung in der Schule. Außerdem ist Periode ein Thema, das über Generationen weitergegeben wird. Wenn zum Beispiel die eigene Mutter eine sehr negative oder schambehaftete Einstellung zur Periode hat, dann gibt sie das bewusst oder unbewusst auch an ihre Tochter weiter. Und so ist das dann ein Kreislauf, der sich über Generationen fortsetzt und der sehr schwer zu durchbrechen ist, wenn man nicht von anderer Stelle entsprechende Aufklärung bekommt.
Blutige Szenen in Actionfilmen schockieren kaum noch jemanden …
Genau. Das zeigt, wie unsere Gesellschaft tickt, dass wir uns wirklich die blutigsten Actionfilme ansehen können. Viele Jugendliche sind ja schon seit dem Kindesalter mit solchen Filmszenen konfrontiert, wo wirklich das Blut nur so spritzt. Und das ist ganz normal, da zuckt kaum mehr jemand mit der Wimper. Während, wenn wirklich Menstruationsblut gezeigt wird, selbst wenn das nicht das Echte ist, aber wenn es auch nur assoziiert wird, löst das bei den allermeisten Menschen ganz starke Ekelgefühle aus. Das ist genau das, was wir aufzeigen wollen, wie absurd das ist. Eigentlich ist Blut gleich Blut. Das ist immer eine Körperflüssigkeit. Aber das eine ist aufgrund der Tabuisierung so in eine Ekel-Ecke gedrängt worden, während das andere auch aufgrund von Actionfilmen und Co. ganz anders gesehen wird.
Wie blicken Sie in die Zukunft?
Wir haben ja die große Vision, dass Menstruation überhaupt kein Tabu mehr darstellt, dass sich niemand mehr dafür schämen muss, zu menstruieren. Und dass wirklich alle Zugang zu den Periodenprodukten ihrer Wahl haben und diese frei zur Verfügung stehen. Das soll auch auf nachhaltige Produkte zutreffen. Da sehen wir noch viel Arbeit vor uns.
Meine Meinung zu diesem Thema
DER GESCHMACK VON BLUT - Aktiv im Thema
profamilia.de/angebote-vor-ort/nordrhein-westfalen/beratungsstelle-koeln-zentrum/sexualpaedagogikyouthwork | Profamilia bietet sexualpädagogische Beratung für Jugendliche, Eltern und Institutionen an.
andheri-hilfe.de/informieren/gesundheit-ermoeglichen/tabu-menstruation-in-indien | Die in Bonn ansässige NGO Andheri Hilfe erklärt, welche Folgen das Menstruations-Tabu in Indien für die Betroffenen hat.
zukunftsinstitut.de/artikel/zukunftsreport/menstruation-wird-mainstream | Der Beitrag des Zukunftinstituts wägt ab, ob in Fragen der Menstruation nun endlich aufgeklärte Zeiten anbrechen.
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Zu Besuch im Kölner Concept Store Le Pop Lingerie – Teil 1: Lokale Initiativen
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Kostenlose Menstruationsartikel an der Ruhr-Uni Bochum – Teil 2: Lokale Initiativen
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Ist die Geschichte der Menstruation voller Missverständnisse? – Glosse
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