PMS, das Prämenstruelle Syndrom, ist ein gynäkologisches Beschwerdebild, das ebenso weit verbreitet wie diffus ist. Wer über Menstruation spricht, kommt darum nicht herum: Je nach Studie sind 20 bis 40 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter davon betroffen. In vielen medizinischen Publikationen wird sogar angenommen, dass drei von vier Frauen unter mindestens einem der Symptome von PMS leiden. Und die sind vielfältig: Kopfschmerzen, Unterleibsschmerzen, Heißhunger, Stimmungsschwankungen, Niedergeschlagenheit, Kreislaufprobleme. Der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) spricht von einer „Palette von mehr als 150 Symptomen“. Auch ich kann, wie fast alle Frauen in meinem Bekanntenkreis, ein Lied davon singen. Die genaue Ursache von PMS hingegen: unklar – „trotz jahrzehntelanger Forschungen“. Auch das schreibt der BVF. Wie kann das sein? In einer Gesellschaft, die Therapien gegen Krebs entwickelt hat und in der Lage ist, Lebewesen künstlich zu klonen?
Wissenschaftliche Lücke
Eine Antwort auf diese Frage ist: Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft, die in vielen Bereichen von Männern gemacht und auf Männer ausgerichtet ist. Auch in der Medizin. Jahrzehntelang wurden etwa Medikamente vornehmlich an Männern getestet und auf die Körper und Bedürfnisse von Männern ausgerichtet. Darüber schreibt unter anderem Rebekka Endler in ihrem Buch „Das Patriarchat der Dinge“. Die Ursache hierfür ist wiederum: die Menstruation. Denn der weibliche Zyklus mit seinen unterschiedlichen Hormonphasen sowie die Wechseljahre machen den weiblichen Körper zu einem herausfordernderem Untersuchungsgegenstand.
Dazu passt, dass die Pille als Allheilmittel für zyklusbedingte Beschwerden verschrieben wird. Selbst der BVF nennt die Pille als erste Therapiemöglichkeit gegen PMS, noch vor natürlichen Methoden wie Sport, Ernährung und Entspannung. Dabei können diese Faktoren viel bewirken. Doch sie erfordern eine intensive Auseinandersetzung mit dem Zyklus der jeweiligen Frau. Und ein umfassendes Bewusstsein dafür, inwiefern ein weiblicher Körper anders als ein männlicher funktioniert. Die Pille hingegen wirkt vermeintlich schnell und unkompliziert: Sie unterdrückt den Eisprung und damit den weiblichen Zyklus komplett. Frauen haben mit ihr einen konstanten Hormonspiegel, ähnlich wie Männer. Praktisch, könnte man jetzt denken. Nur: Viele Ärzt:innen zweifeln daran, dass die Pille heutzutage erneut zugelassen würde. Denn sie bringt zahlreiche Nebenwirkungen und Risiken mit sich. Eine Pille für den Mann ist zwar seit Jahren in der Forschung, wurde aber nie zugelassen – wegen der gleichen Nebenwirkungen. Auch hier scheinen männliche Körper nach einem anderen Maßstab bewertet zu werden.
Von Frau zu Frau
Ein Gegentrend dazu sind Kanäle in den sozialen Medien, die es sich zum Anliegen gemacht haben, über die weibliche Menstruation aufzuklären; quasi unmittelbares Wissen von Frauen für Frauen. Der Kanal Bodysynchron auf Instagram klärt etwa darüber auf, inwiefern zyklusgerechte Ernährung und Sport PMS vermindern können. Und welche Beschwerden auf ein Zuviel oder Zuwenig an bestimmten Hormonen hinweisen können. Das ist gut. Noch besser wäre es, wenn dieses Wissen es auch auf die strukturelle Ebene schaffen würde. Etwa indem der Berufsverband der Frauenärzte nicht immer noch pauschal die Pille als erstes Mittel bei PMS listen würde.
DER GESCHMACK VON BLUT - Aktiv im Thema
profamilia.de/angebote-vor-ort/nordrhein-westfalen/beratungsstelle-koeln-zentrum/sexualpaedagogikyouthwork | Profamilia bietet sexualpädagogische Beratung für Jugendliche, Eltern und Institutionen an.
andheri-hilfe.de/informieren/gesundheit-ermoeglichen/tabu-menstruation-in-indien | Die in Bonn ansässige NGO Andheri Hilfe erklärt, welche Folgen das Menstruations-Tabu in Indien für die Betroffenen hat.
zukunftsinstitut.de/artikel/zukunftsreport/menstruation-wird-mainstream | Der Beitrag des Zukunftinstituts wägt ab, ob in Fragen der Menstruation nun endlich aufgeklärte Zeiten anbrechen.
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