Rauchschwaden, Wände voller Graffiti, Rotoren dröhnen, Hip-Hop-Beats hämmern. „Fuck the Police / nimm die AK und schieß / bis das Blut wieder fließt“, rappen die drei Helden ihren Text auf den Soundtrack der Vorstadt-Riots. „Hass“, nach dem Film von Mathieu Kassovitz, erzählt im Freien Werkstatt Theater die Geschichte dreier Freunde (Sedat Mistek, Senad Mistek, Faton Mistek), die in der Form der klassischen Heldenreise eine Nacht durch Paris ziehen, nachdem Sedat in den Ausschreitungen einem Polizisten die Knarre abgezogen hat. Mit dem Revolver will er, sollte ein im Koma liegender Bekannter sterben, einen der Beamten töten: „Kennst du einen besseren Weg um dir Respekt zu verschaffen?“
In einer Videoprojektion erscheint daraufhin der 27-jährige Sedat Mistek und erzählt eine Geschichte vom echten Sedat. Als er vor Jahren von einem Schnorrer, dem er keine Zigarette gab, angriffen wurde, verlor er die Kontrolle. „Ich hab immer wieder auf den eingeschlagen“, erzählt er. „Ich weiß nicht, was mit mir los war.“ Vier Wochen Jugendarrest bekam er. Heute ist er entspannter, erzählt er, macht was aus seinem Leben, „denn anders kommt man eh‘ nicht weiter“. Die drei jungen Männer, die der Minderheit der Roma angehören, sind – man mag es kaum glauben – Laiendarsteller. Und mit dem simplen, aber wirkungsvollen dramaturgischen Kniff der Video-O-Töne holt Regisseur Stefan Herrmann die Szenen der Filmadaption immer wieder gekonnt ins Hier und Jetzt, in die Lebensrealität junger Roma.
Bei ihrer weiteren Odyssee durch Paris treffen die drei auf Fernsehteams, besuchen eine Vernissage und begegnen einem von Xhedo Bajraj genial gespielten Kokser, mit dem sich Faton einen Schaukampf liefert. Die Choreografie des Kampfes im Stile eines Videospiels ist schlicht und ergreifend großartig. Brüllend komisch wird es, als die Jungs ein Auto aufbrechen, um dann festzustellen, dass niemand von ihnen fahren kann. Herrmann gelingt mit „Hass“ ein echtes Kunststück. Sein solide und vorgangsreich gebauter Abend gibt den Spielern ein Maximum an Sicherheit und Freiheit, dass die in manchen Szenen zu fliegen scheinen.
„Hass“ | R: Stefan Herrmann | Mi 8.6., Do 9.6. 20 Uhr | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24
Das 360-Grad-Feedback
„Fleischmaschine“ am Freien Werkstatt Theater – Prolog 01/24
Das diffamierende Drittel
Einkommensunterschiede in der Kultur – Theater in NRW 12/23
Die fünfte Gewalt
FWT mit neuer Besetzung – Theater am Rhein 11/23
Menschliche Abgründe
„Mister Paradise“ am FWT – Theater am Rhein 11/23
Vorbereitung aufs Alter
„Die Gruppe“ im Freien Werkstatt Theater – Prolog 09/23
Rechtfertigung auf Skiern
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Theater am Rhein 08/23
Groteskes Reenactment
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Prolog 07/23
Muss alles anders?
„Alles muss anders“ am FWT – Theater am Rhein 05/23
Spätes Licht
Studiobühne zeigt „Nachttarif“ – Theater am Rhein 04/23
Sehnsucht nach einer Welt, die einem antwortet
„Alles in Strömen“ am Freien Werkstatt Theater – Auftritt 03/23
Mehr Solidarität wagen
Die Theater experimentieren mit Eintrittspreisen – Theater in NRW 01/23
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Im Höchsttempo
„Nora oder Ein Puppenhaus“ in Bonn – Theater am Rhein 03/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
Falle der Manipulation
„Das politische Theater“ am OT – Theater am Rhein 02/24
Wiederholungsschleife
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/24
Radikaler Protest
„Ein Mensch ist keine Fackel“ in der Orangerie – Theater am Rhein 01/24
Emotionale Abivalenz
„Sohn meines Vaters“ in Köln – Theater am Rhein 01/24
Übung in Demokratie
„Fulldemo.cracy“ am Studio Trafique – Theater am Rhein 01/24
Welt ohne Männer
„Bum Bum Bang“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 12/23
Was ist hinter der Tür?
„Die Wellen der Nacht …“ in der Orangerie – Theater am Rhein 12/23
Weiter mit der Show
„Von Käfern und Menschen“ am TiB – Theater am Rhein 11/23
Ende der Zivilisation
„Eigentum“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 11/23