Die Komödien der Vergangenheit sind die Problemstücke von heute: Neben dem „Kaufmann von Venedig“ gilt das bei Shakespeare vor allem für „Der Widerspenstigen Zähmung“. Gezähmt werden soll nämlich eine Frau, die nicht der patriarchalischen Norm entspricht. Katharina wird von Petruchio gewaltsam unterworfen und anschließend in fortwährender Demütigung dem Idealbild der sanften und liebenswerten Frau angepasst. Selbst wenn der Geschlechterkampf den Charakter eines Rollenspiels von beiden Seiten annimmt, bleibt der totalitäre Herrschaftsanspruch Petruchios unberührt. Nun nehmen sich Regisseur Tim Mrosek mit den Dramaturgen Martin Wiesenhöfer und Katja Winke des Stücks an und stellen es ins Schaufenster historischer wie gegenwärtiger männlicher (ironisierter) Machtdispositive von Cis-Männern über Incels, WAP-Debatten bis Corona-Leugnern.
Ein Richter hat einen junge Frau zum Sex zu zwingen versucht. Ihr Freund beschuldigt sie fremdzugehen. Ihre Mutter beklagt den Verlust eines Krugs. Er ging bei der gelungenen Flucht des Richters zu Bruch. Als die Mutter jetzt den Ersatz des Krugs einzuklagen versucht, muss der Richter über sich selbst zu Gericht sitzen und wird gleichzeitig von einem Gerichtsaufseher in die Enge getrieben. So lautet knapp die Geschichte von Kleists bodenloser Komödie „Der zerbrochne Krug“, an deren Ende jedes Vertrauens in das Rechtssystem zerstört ist, eine Liebe und eine Familie auf der Strecke blieb. Schauspieldirektor Jens Groß inszeniert am Theater Bonn den Klassiker.
Wenn es so etwas gibt wie eine (männlich) imaginierte Weiblichkeit im Schreiben, dann dürfte Ingeborg Bachmann zu ihrer Zeit die erste Anwärterin gewesen sein. Stilisierungen als frühe Feministin, gefallene Lyrikerin, große Hilflose oder kompromisslos Liebende haben das Bild der Autorin lange verstellt. Und ihr mysteriöser Tod hat den Mythos „Bachmann“ weiter befeuert. Inzwischen erscheint die Autorin, die nie nachließ, auf alles Marginalisierte, aber auch Verleugnete und Gewalttätige in der Gesellschaft hinzuweisen, in anderem Licht. Das movingtheatre.de setzt seine Reihe „Auf-Brüche“ fort und widmet nach Kafka und Lenz den letzten Teil Ingeborg Bachmann.
Zähmung | R: Tim Mrosek | ab Mitte Dezember | Studiobühne Köln | 0221 470 45 13
Der zerbrochne Krug | R: Jens Groß | 12.(P), 31.12. je 20 Uhr, 27.12. 18 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
Bachmann | R: Achim Conrad, Thomas Hupfer | 10.(P), 11.12. 20 Uhr | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
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