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Pınar Karabulut
Foto: Sandra Then

„Wir müssten viel weiter sein“

10. März 2021

Pınar Karabulut über „Edward II.“, alte Strukturen und neue Wege – Interview 03/21

Die Bühnen sind geschlossen, die Vorhänge bleiben zu und das Publikum sitzt zu Hause vor Computerbildschirmen. Diese Wand kann nicht so einfach durchbrochen werden, wie einst von Brecht erstrebt. Knapp hundert Jahre später muss das Theater also neu gedacht werden. Ein gelungenes Beispiel ist Pınar Karabuluts Streaming-Miniserie „Edward II.“ am Schauspiel Köln, nach Ewald Palmetshofers Bearbeitung des Stücks von Christopher Marlowe. Im Gespräch nimmt uns die Regisseurin mit hinter die Bühne und erzählt vom Umdenken, von der Verantwortung des Theaters und warum Kunst politisch sein muss.

choices: In unserem Interview aus dem Jahr 2016 hast du gesagt, dass das deutsche Theater weiß, männlich und heterosexuell sei. Wie ist das deutsche Theater fünf Jahre später?
Pınar Karabulut: Fünf Jahre später ist das deutsche Theater weiß, männlich, heterosexuell und blind. (lacht) Natürlich hat sich auch einiges geändert und inzwischen bewegen wir uns in eine Richtung von Diversität, aber ich finde dafür, dass 2021 ist, müssten wir viel weiter sein. Ich spüre zwar auch, dass der Wille, Dinge zu verändern und alte Strukturen aufzubrechen, da ist, aber meistens ist die Angst aufseiten der Mehrheitsgesellschaft so groß, dass man eher den alten Formaten und Strukturen vertraut.


Edward II. – Folge 1, Bild: Schauspiel Köln

Pinar Karabulut
Foto: Thomas Morsch

Pinar Karabulut (*1987) studierte Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Literatur in München. Nach Assistenzen in Münchner und Zürich, war sie 2013-16 Regieassistentin am Schauspiel Köln und inszenierte „Invasion!“ von Jonas Hassen Khemiri. Sie inszenierte dann u.a. am Schauspiel Köln, Theater Bremen, Münchner Kammerspiele, Volkstheater Wien und am Theater Neumarkt in Zürich. Seit 2020 gehört Karabulut zum künstlerischen Leitungsteam der Münchner Kammerspiele.

Wie sehen diese alten Strukturen im Theater aus?
Das sind verschiedene Ordnungen. Zum einen natürlich das, was ich auf der Bühne sehe: alte Stereotype und Rollenbilder, in denen Frauen kleine Rollen spielen. Es gibt wahnsinnig viele Inszenierungen von Männern, in denen Frauen nur die Rolle haben, gut auszusehen, die Anspielpartnerin zu sein und im dritten Akt zu sterben, damit der Protagonist noch mehr Text sprechen kann. Ein weiteres Problem ist die Repräsentation von People of Colour. Es gibt ganz viele weiße Körper auf der Bühne und wenn es mal einen nicht-weißen Körper gibt, dann spielt die Person nur zwei Szenen und verschwindet wieder. Eine große Verantwortung, wie zum Beispiel eine Hauptrolle wird PoC-Körpern auf der Bühne nicht gegeben. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Texte und Themen, die wir behandeln. Es sind immer noch männliche, weiße deutsche Autoren, die auf der Bühne vorkommen. Dabei gibt es so viele queer-trans Autor*innen, wo das Gender total egal ist, aber diese Texte schaffen es nicht in den Mainstream, weil sich ein Schiller immer noch besser verkauft als der Text einer queeren Autorin. All das gilt auch für die Strukturen hinter der Bühne. Wenn man auf die Leitungsebenen schaut, gibt es bis auf Julia Wissert in Dortmund keine PoC-Frau, die ein Theater leitet. Das ist einfach absurd. In den Dramaturgie-Etagen und den Ensembles ist es leider ähnlich.

Was würdest du dir für die Zukunft des Theaters wünschen?
Ich würde mir wünschen, irgendwann sagen zu können: „Ja, ein Haus schafft es divers zu besetzen, divers zu inszenieren und Politisches auch zu meinen.“ Dass es wirklich nur um die Kunst und um Qualität geht. Das tut es leider nicht, weil die Angst immer noch sehr groß ist.


Edward II. – Folge 3, Bild: Schauspiel Köln

Mit deinen Inszenierungen gehst du diesen Weg selbst, indem du versuchst, alte Normen aufzubrechen und politische Statements zu setzten. Wie hast du das in deinem neuen Stück „Edward II.“ umgesetzt?
Was mich politisch an Edward interessiert hat, ist zu gucken, wo die queeren Themen auf der Bühne oder im Theater sind, und zu überlegen, wie wir der queer culture etwas zurückgeben können. In der Kunst passiert es schnell, dass man sich bestimmten Zeichensystemen bedient und diese nicht honoriert, sondern einfach benutzt, ohne sie richtig zu verstehen. Der Versuch bei „Edward II“ war, einem queeren Thema sechs Folgen lang so viel Raum zu geben, dass es wirklich darum geht. Deswegen war es mir auch so wichtig in der ersten Folge eine Liebesszene zwischen zwei Männern zu zeigen, die sehr explizit ist. Auch 2021 ist es noch ein Politikum, zwei Männer zu sehen, die sich romantisch küssen, und es ist wichtig, dass sich diese Sehgewohnheiten ändern.

Nicht nur inhaltlich ist das Stück so erfrischend fortschrittlich. Ihr konntet „Edward II.“ nicht als klassisches Bühnenstück umsetzen, was dem Coronavirus geschuldet ist. Wie kam es dazu, das Ganze als Miniserie zu inszenieren?
Als die Theater immer länger geschlossen blieben und ich mit der Dramaturgin angefangen habe an dem Text zu arbeiten, haben wir uns natürlich gefragt, wie realistisch es ist „Edward II.“ auf der Bühne umzusetzen. Ich kam dann auf die Idee einen Hybrid zu machen, also eine Serie, die online stattfindet, und sobald die Theater wieder öffnen, als Pilotfilm fungiert. Als es dann immer weiter ging mit dem Lockdown, haben wir uns dazu entschlossen nur eine Serie zu machen. Normalerweise dauern solche Prozesse ja immer ein bisschen. Wir haben das aber erst eine Woche vor der Konzeptions- und Leseprobe mit dem Intendanten festgelegt. Der Versuch war nicht Theater abzufilmen, sondern eine Form von Seriendramaturgie zu kreieren und den theatralen Moment beizubehalten. Ich habe also in einer Woche sechs Drehbücher geschrieben und das Konzept komplett geändert. Ich musste mir Kameraeinstellungen überlegen, meine Kostümbildnerin hat alle Kostüme weggeschmissen, die sie schon gezeichnet hatte, und in einer Woche neue Entwürfe gemacht. Alleine in der zweiten Folge trägt jede Figur in jeder Szene ein anderes Kostüm. Das sind über hundert Kostüme, die in der Serie vorkommen. Wir haben also in einer Woche alles verändert und dann innerhalb eines Monats geprobt, gedreht und produziert. Parallel haben wir geschnitten und vertont.


Edward II. – Folge 2, Bild: Schauspiel Köln

Du hast Theaterwissenschaft studiert und arbeitest seit mittlerweile sieben Jahren am Theater. Wie war es für dich dein gewohntes Medium zu verlassen und plötzlich filmisch zu arbeiten?
Es hat mir total Spaß gemacht. Was ich am Film besonders mag, ist, dass man viel detaillierter arbeiten kann. Die Schauspieler*innen können viel mehr über ihre Augen und Blicke erzählen als nur über ihren Körper. Gleichzeitig vermisse ich das natürlich auch. Am Theater liebe ich, große Bilder zu inszenieren. Große Gesten und die Körper der Schauspieler*innen choreografisch einzusetzen. Das ist in der Serie leider nicht wirklich möglich. Total anders war, dass ich genau wissen musste, was ich will. Im Theater kann ich theoretisch noch am Tag der Premiere eine Szene ändern oder eine Seite streichen. Im Film muss ich vorher genau wissen, was ich erzählen will und wie ich es erzählen will. Es gibt unglaublich viele Mittel, die einem zur Verfügung stehen und die ich mir gerade erst aneigne. Ich finde das total interessant und könnte mir vorstellen, das nochmal zu machen, würde mir dann aber noch sehr viel mehr Vorbereitungszeit wünschen.

Glaubst du, dass diese Form der Inszenierung ein Gewinn für den Stoff war?
Ich kann und will das eigentlich gar nicht gegeneinander aufwiegen, aber die Idee, dass ich in jeder Folge ein anderes Genre mache, kam daher, dass ich dieses Medium wirklich nutzen wollte. In der ersten Folge gehen wir zum Beispiel viel mit Gaveston mit und erleben durch seine Augen, wie der Hof aufgebaut ist und wie die Royals leben. In der zweiten Folge sehen wir eine Art Mafia-Melodrama und gehen mit Königin Isabella mit. So wird sich das von Folge zu Folge verschieben. Wir haben immer einen anderen Fokus und unterschiedliche Momente, in denen wir die Lupe nehmen können, um auf die Figuren zu schauen. Das ist etwas, was im Theater in der Form nicht möglich wäre und das Tolle an einer Serie. Ich kann den Blickwinkel komplett ändern, den Leuten mehr Raum geben und ihre Motivation erklären.

Kunstschaffende und Kreative trifft diese Krise besonders hart und als Theatermacherin standest du ebenfalls vor vielen Hindernissen. Was motiviert dich trotzdem weiterzumachen?
Ich finde, es ist ein politischer Akt weiterzumachen, weiter zu proben, weiter Kunst zu schaffen. Gerade in dieser Zeit, in der wir gezwungen sind, zu Hause zu bleiben, ist eine Form von Kunst und Kultur wichtig, um nicht auch innerlich zu verkümmern. Wir brauchen den Austausch mit Kunstwerken in einem Museum. Den Austausch mit der Kunst im Sinne von Theater oder Filmen, um nicht die Sensibilität für unsere Mitmenschen zu verlieren und um immer noch wach zu bleiben zu den Themen Rassismus, Sexismus und Diskriminierung. Diesen Kontakt und diese Sensibilisierung verlieren wir als Menschen, wenn wir nicht in einen Austausch mit der Kunst und Kultur gehen. Deshalb ist es unheimlich wichtig weiterzumachen. Egal, ob es eine Pandemie, einen Krieg oder andere wirtschaftliche Nöte gibt; die Kultur darf niemals aussterben, denn sonst verlieren wir Menschen etwas in uns.

Edward II. – Die Liebe bin ich | Stream: Folge 5 ab 12.3. 19.30 Uhr, komplett ab 19.3. | Schauspiel Köln | www.schauspiel.koeln/spielplan/a-z/edward-die-liebe-bin-ich

Interview: Isabell Roempke

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