Das Beste zum Schluss: Gregor Henze steht am Bühnenrand hinterm Mikrofon. Der Mund formt sich, doch er bekommt kein Wort heraus. Jede Rechtfertigung für seine Gräueltat scheint ihm zu entweichen. Am Ende sind wir es, die diesen geschundenen Woyzeck nach einer gefühlten Ewigkeit mit Schlussapplaus freisprechen. Büchners trauriger Held aus dem gleichnamigen Dramenfragment in erschütternder Ruhe – leider eine Ausnahme an diesem Abend.
Die letzte Szene ist die Antwort auf die erste. Regisseur Jörg Fürst lässt Woyzeck gleich zu Beginn die geliebte Maria erstechen. Der kaltblütige Mord wird untermalt von hartem Rockschlagwerk. Erst nach und nach im rückwärts ablaufenden Büchner-Stück schält sich das Motiv des von der Welt und der Eifersucht auf den Liebhaber seiner Frau in die Knie gezwungenen Soldaten heraus. Vom despotischen Hauptmann drangsaliert und vom zynischen Doktor als Bohnen fressendes Versuchskaninchen gepeinigt, verfällt Woyzeck dem Wahnsinn. Während Büchner hier die Zwangsregime von Aristokratie, Militär und Wissenschaft anprangerte, sehen die beiden Popanze bei Christoph Hemming eher wie Figuren aus der Geisterbahn eines Freizeitparks aus. Mehr geht aber auch nicht, im übertriebenen halligen Sound und den plakativen Xylophon-Dissonanzen. Ähnlich ergeht es Lisa Bihl als lebens- und liebeslustige Marie, die neben wenigen melancholischen Momenten vor allem aufgedrehte Freudejauchzer ins engmaschige Klangnetz werfen darf.
Dass Regisseur Jörg Fürst seine Inszenierung mit viel musikalischem und multimedialem Tamtam gespickt hat, ist keine Überraschung. Was sonst so gut funktioniert, ist in diesem Fall nicht der Weisheit letzter Schluss. Das Musiker-Duo Peter Sarach & Krazy, deren Equipment in der Mitte der Bühne steht, durchtönen das Geschehen mit selbst geschriebenen Songs, die mal gelungen den Bezug zu modernen Standes- und Gesellschaftsstrukturen herstellen, meist aber gemessen an Büchner allzu simpel bleiben. Einzig Gregor Henze als wunderbar entrückter Woyzeck bleiben intensive Momente, losgelöst vom dirigistischen Takt. Als Doppelwesen läuft er mit einer Dornenkrone aus Versuchsschläuchen seiner gottgewollten mörderischen Natur entgegen. Man hätte sich mehr für Auge und Geist gewünscht und weniger für die Ohren.
„Woyzeck“ | R: Jörg Fürst | 4.-7.6. u. 18.-21.6. 20 Uhr | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42
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