choices: Herr Krauthäuser, wie interkulturell ist die Kölner Kulturpolitik aufgestellt?
Jan Ü. Krauthäuser: Wer in Zeiten klammer Kassen ein großes, innovatives Museum für die „Kulturen der Welt“ eröffnet und eine Million Euro in eine „Akademie der Künste der Welt“ investiert, verdient Lob und Respekt. Entscheidend wird aber sein, wie man mit diesem Pfund umgeht, und wie es konkret von der Bevölkerung genutzt werden kann. Hier bin ich nicht so optimistisch, denn auch in Köln neigen Politiker und Institutionen dazu, sich mit populären Heilsformeln wie „interkulturell“, „integrativ“ zu schmücken, anstatt sich mit den komplexen Wirkungszusammenhängen zu beschäftigen.
Wenn es um Interkultur geht, ist schnell von Minderheiten die Rede. Sind z. B. Roma und Sinti in Europa eine Minderheit?
Man sollte den einzelnen Zigeuner nicht auf seinen Minderheitenstatus reduzieren. Das ist nur eine Facette seiner Identität, deren Bedeutung er selbst definieren kann. Mit geschätzten 12 Millionen sind die Zigeuner in Europa im Übrigen eine weitaus größere Minderheit als die Schweizer. Ihre Bedeutung für die kulturelle Evolution des Kontinents ist dazu wahrscheinlich größer, als man meint. Als fahrende Künstler, Händler oder Handwerker waren sie so etwas wie eine mobile Kreativwirtschaft.
Das Wort „Zigeuner“ ist mindestens umstritten.
Für mich hatte das Wort immer einen guten Klang! Wie die meisten Gadje habe ich es natürlich zunächst über die romantisierende Literatur und die großartige Musik kennengelernt. Doch auch Markus Reinhardt und Rudi Rumstajn, die leibhaftige Zigeuner sind, und mit denen ich das Rheinische Zigeunerfestival organisiere, haben eine sehr positive Beziehung zu diesem alten Oberbegriff. Die Versuche, ihn durch politisch korrekte Wortketten zu ersetzen, verfolgen sie belustigt bis verärgert. Natürlich gibt es auch primär Betroffene, die nicht „Zigeuner“ genannt werden wollen, das respektiere ich unbedingt! Zur Vielfalt gehört auch, unterschiedliche Meinungen zu ertragen.
Wird Interkultur so Teil einer integrativen Kulturpolitik?
Es geht nicht darum, einen hübschen Minderheitenstrauß zu präsentieren, sondern die Diversität der Kulturen neu zu gestalten und dabei viele dieser interkulturellen Gemeinplätze zu entrümpeln. Individuen auf Figuren zu reduzieren und wohlmeinend in Themenghettos zu sperren, ist Teil einer Multikulti-Falle. „Der Zigeuner“ war immer auch ein Mythos, eine Projektionsfläche für Freiheit, Kreativität, Erotik, Grenzüberschreitung: eine ungeheure Inspirationsquelle für die Gesellschaft, die es gemeinsam zu erhalten und nutzen gilt.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Neuer Blick auf Armutseinwanderer
„Maria“ von Michael Koch entsteht in Dortmund und Köln – Setbesuch 03/15
Leben im sozialen Brennpunkt
„Am Kölnberg“ im Filmforum – Foyer 03/15
Minderheiten sind wir alle
Köln im interkulturellen Querschnitt - THEMA 06/12 INTEGRATION
Stadtgesellschaft ohne Rassismus
Henriette Reker über Integrationspolitik, städtische Ziele und Integrationszentren - Thema 06/12 Integration
Abschied von Gestern
Joachim Weiner über Integration, Inklusion und Verwaltungsreformen - Thema 06/12 Integration
Ablenkungsversuch
Intro – Hab’ keine Angst
Angst über Generationen
Teil 1: Leitartikel – Wie Weltgeschehen und Alltag unsere Sorgen prägen
„Psychische Erkrankungen haben nichts mit Zusammenreißen zu tun“
Teil 1: Interview – Psychologe Jens Plag über Angststörungen
Sorgen und Erfahrungen teilen
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Kölner Verein Rat und Tat unterstützt Angehörige von psychisch kranken Menschen
Keine Panik!
Teil 2: Leitartikel – Angst als stotternder Motor der Vernunft
„Nicht nur ärztliche, sondern auch politische Entscheidung“
Teil 2: Interview – Psychiater Mazda Adli über Ängste infolge des Klimawandels
Weltweit für Menschenrechte
Teil 2: Lokale Initiativen – Amnesty International in Bochum
Wie die AfD stoppen?
Teil 3: Leitartikel – Plädoyer für eine an den Bedürfnissen der Mehrheit orientierte Politik
„Das Gefühl, dass wir den Krisen hinterherjagen“
Teil 3: Interview – Miriam Witz von Mein Grundeinkommen e.V. über Existenzängste und Umverteilung
Gefestigtes Umfeld
Teil 3: Lokale Initiativen – Wuppertals Verein Chance 8 fördert Chancengleichheit für Kinder
Soziale Bakterien
Den Ursprüngen sozialer Phobien auf der Spur – Europa-Vorbild: Irland
Im Sturm der Ignoranz
Eine Geschichte mit tödlichem Ausgang – Glosse
Gelassen ernst
Intro – Unheimlich schön
11 Millionen Eitelkeiten
Teil 1: Leitartikel – Fitnessstudios: zwischen Gesundheitstempeln, Muckibuden, Selbstverliebtheiten und Selbstgeißelung?
„Sport wird instrumentalisiert, um positive Emotionen zu empfinden“
Teil 1: Interview – Sportpsychologin Jana Strahler über Sportsucht
Leistung ist nicht alles
Teil 1: Lokale Initiativen – Initiative an der Deutschen Sporthochschule fördert psychische Gesundheit
Im Namen der Schönheit
Teil 2: Leitartikel – Über körperliche Wunschbilder und fragwürdige Operationen
„Ausstrahlung ist mehr als die äußere Erscheinung“
Teil 2: Interview – Psychoanalytikerin Ada Borkenhagen über Schönheitsoperationen
Damit eine grausame Tradition endet
Teil 2: Lokale Initiativen – Düsseldorf: Verein stop mutilation gegen weibliche Genitalbeschneidung
Ist Schönheit egal?
Teil 3: Leitartikel – Zwischen Body Positivity und Body Neutrality